Politikwissenschaftler @BalderGullveig hat dieses sehr komplexe Thema im Detail analysiert.
Ein Täuschungsmanöver zur Verschleierung der haushaltspolitischen Folgen für die Mitgliedstaaten.
Die Ukraine steht vor einer akuten existentiellen Bedrohung, die nicht nur militärischer, sondern auch wirtschaftlicher Natur ist. Laut Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Kommission beläuft sich die Finanzierungslücke für die Jahre 2026 und 2027 auf insgesamt 135 Milliarden Euro, wovon etwa 83 Milliarden Euro für Verteidigungsausgaben und 52 Milliarden Euro für die Stabilisierung des Staatshaushalts benötigt werden.
Ohne schnelle externe Unterstützung ist ein Staatsbankrott der Ukraine Anfang nächsten Jahres unvermeidlich.
In diesem Kontext hat die EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen am 3. Dezember 2025 einen konkreten Vorschlag für ein sogenanntes Reparationsdarlehen in Höhe von bis zu 90 Milliarden Euro bis Ende 2027 vorgelegt, das durch die in der EU eingefrorenen russischen Staatsvermögen abgesichert werden soll. Der Gesamtwert dieser Vermögen, hauptsächlich Zentralbankreserven der Russischen Föderation, wird auf rund 210 Milliarden Euro geschätzt, wobei der Großteil – etwa 185 Milliarden Euro – bei der belgischen Depotbank Euroclear in Brüssel verwahrt wird.
Dieser Plan soll auf dem EU-Gipfel am 18. Dezember 2025 verabschiedet werden und stellt eine Fortsetzung der seit September 2025 diskutierten Optionen dar: Entweder die Nutzung der russischen Assets als Pfand für ein Darlehen oder die Aufnahme neuer EU-Anleihen, abgesichert durch den EU-Haushalt. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat sich wiederholt für die erste Variante ausgesprochen und warnt, dass Entscheidungen nun „über die Zukunft Europas“ entscheiden würden. Zur Sicherung des Durchbruchs reist Merz bereits morgen, am 5. Dezember 2025 nach Brüssel, um mit dem belgischen Ministerpräsidenten Bart De Wever und von der Leyen die Blockade Belgiens zu überwinden. Doch hinter der moralisch aufgeladenen Rhetorik verbirgt sich ein undurchsichtiges Kommunikationsspiel, das die Öffentlichkeit systematisch täuscht.
Die rechtliche Unmöglichkeit einer Konfiszierung und der bewusste Einsatz irreführender Narrative.
Die Kernbotschaft der EU-Kommission – dass die eingefrorenen russischen Vermögen als direkte Finanzquelle für die Ukraine herangezogen werden könnten – ist nicht nur irreführend, sondern völkerrechtlich unhaltbar. Eine Konfiszierung solcher „sovereign assets“ verstößt gegen das Prinzip der Staatensouveränität und die Regeln der Staatenverantwortung (Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, ARSIWA), die Sanktionen als vorübergehende Maßnahmen (countermeasures) definieren, die reversibel sein müssen. Experten der Europäischen Zentralbank und internationaler Ratingagenturen wie S&P und Fitch betonen, dass eine Enteignung zu Klagen vor Gerichten wie dem International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) führen würde, mit Schadensersatzansprüchen inklusive Zinsen, die den Ausgangsbetrag um bis zu 190 Milliarden US-Dollar übersteigen könnten.
Trotzdem hat die Kommission in den vergangenen Monaten gezielt den Begriff der „Konfiszierung“ lanciert, um die Öffentlichkeit mit der Illusion einer „gerechten Reparation“ zu fesseln. Um es ganz unmissverständlich auszudrücken: es wird kein einziger Cent aus dem eingefrorenen russischen Kapitalstock zur Tilgung dieses vorgesehenen Kredites herangezogen werden können. Es handelt sich lediglich um eine politische Beruhigungspille. Völkerrechtlich zulässig ist alleine die Nutzung der Zinserträge dieses Kapitals. Diese werden jedoch bereits vollständig zur Tilgung eines früheren G7-Kredits an die Ukraine verwendet. Dieses perfide Vorgehen ist bewusst und unzutreffend: Der aktuelle Plan sieht keine Konfiszierung vor, sondern ein Darlehen, das durch die Assets als Pfand gesichert wird. Die Ukraine würde das Geld nur zurückzahlen, falls Russland Reparationen leistet – was im Falle eines Friedensvertrags oder einer russischen Klage extrem unwahrscheinlich ist. Stattdessen müssten die EU-Staaten haften, da die Assets bei Frieden oder gerichtlicher Entscheidung freigegeben würden. De Wever nannte den Plan in einem Brief an von der Leyen vom 28. November 2025 „fundamentally wrong“ und forderte „legally binding, unconditional, irrevocable, on-demand, joint and several guarantees“ für alle Risiken, einschließlich Schiedskosten und russischer Vergeltung.
Diese Garantien würden die Haftung proportional zur Wirtschaftsleistung verteilen: Deutschland als größter Nettozahler der EU (mit einem Beitrag von rund 25 % zum EU-Haushalt) würde etwa 22,5 Milliarden Euro der 90 Milliarden Euro direkt übernehmen, verteilt auf 2026 und 2027. Dies entspricht einer Belastung von ca. 40 Milliarden Euro über zwei Jahre, wenn man Zinsen und potenzielle Verluste einbezieht – eine immense Last für einen Haushalt, der bereits unter der Wirtschaftsflaute leidet.
Die Verschleierungstaktik: Ratingrisiken und politischer Widerstand.
Die EU-Führung ist sich der Unmöglichkeit dieses Konstrukts bewusst und arbeitet im Hintergrund an einer Vergemeinschaftung der Haftung, die die nationalen Haushalte direkt trifft. Dennoch wird die wahre Natur des Plans – eine Umschuldung auf EU-Steuerzahler – solange wie möglich verschleiert, aus zwei zentralen Gründen. Erstens droht eine offene Ankündigung eine Korrektur der Ratings durch Agenturen wie Moody’s oder Fitch, insbesondere für hochverschuldete Südeuropäer wie Italien oder Griechenland. Dies würde den Anleihenmarkt destabilisieren und die Zinskosten für Staatsanleihen um bis zu 1–2 Prozentpunkte anheben, was jährlich Milliarden an zusätzlichen Belastungen bedeutet.
Zweitens, und entscheidender, würde die Transparenz einen massiven Widerstand in der Bevölkerung entfachen. Umfragen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und des Eurobarometers zeigen, dass bereits 62 % der EU-Bürger die Ukraine-Hilfe als „übermäßig“ empfinden, mit steigender Unterstützung für parteipolitische Alternativen wie die AfD in Deutschland. Eine weitere Belastung der Haushalte – in Deutschland allein 40 Milliarden Euro – würde soziale Spaltungen vertiefen und Regierungen destabilisieren.
Das perfide top-down-Verfahren: Umgehung parlamentarischer Kontrolle und moralischer Druck.
Der Plan ist so gestaltet, dass die Regierungschefs am 18. Dezember den Kredit top-down verabschieden, wohl wissend, dass in Ländern wie Deutschland, Frankreich und Österreich nachfolgende parlamentarische Beschlüsse für die Haushaltsgarantien erforderlich sind. Dieses angestrebte Verfahren minimiert die parlamentarische Mitwirkung und schaltet den Volkswillen aus. Es wird auf moralische Argumente gesetzt – „Solidarität mit der Ukraine“ –, um Parlamente zu disziplinieren. Merz‘ Druck auf De Wever, unterstützt von von der Leyen, exemplifiziert dies: Das Treffen am 5. Dezember soll Belgiens Veto brechen, ohne dass nationale Parlamente einbezogen werden.
Die Zeit drängt: Ohne Auszahlung von mindestens 45 Milliarden Euro bis Anfang 2026 droht der ukrainische Staatsbankrott, was ein politisches Fiasko für die EU bedeuten würde. Gleichzeitig ist die EU sich bewusst, dass die Bevölkerung eine solche Eskalation der Unterstützung nicht mittragen würde – in Deutschland würde sie den AfD-Zuwachs auf über 25 % treiben. Daher die Hartnäckigkeit, die „Märchengeschichte“ der russischen Assets aufrechtzuerhalten: Sie dient als Vehikel, um die wahre Kostenverteilung zu kaschieren.
Ein undemokratisches Verfahren, das den Volkswillen verhöhnt.
Zusammenfassend betreibt die EU
ein undurchsichtiges Spiel, das völkerrechtliche Grenzen ignoriert und nationale Haushalte opfert. Die bewusste Irreführung durch Konfiszierungs-Narrative, die Umgehung parlamentarischer Kontrollen und der Einsatz moralischer Druckmittel stellen ein undemokratisches Verfahren dar, das den Volkswillen verhöhnt. Während die Ukraine dringend Hilfe braucht, darf dies nicht auf Kosten der Transparenz und Souveränität der EU-Bürger gehen. Eine offene Debatte wäre dringend geboten, um Spaltungen zu vermeiden und echte Solidarität zu wahren. Dies umso mehr, weil der aktuelle Kreditplan nur einen kleinen Teil der geplanten Hilfeleistungen der EU an die Ukraine darstellt.
Man kann davon ausgehen, dass sich die gesamten EU-Hilfen an die Ukraine zwischen 2020 und 2035 auf insgesamt über 1000 Milliarden Euro belaufen werden.
Solche Summen eignen sich nicht für politische Versteckspiele.
Genau dies soll jedoch um jeden Preis durchgezogen werden. Die EU, seit Jahren bereits mit dem Ruch eines undemokratischen Eliteprojekts behaftet, droht nun ihre noch verbliebene moralische Legitimität und politische Akzeptanz aufs Spiel zu setzen.
In den nächsten Tagen erscheint ein weiterer Artikel in welchem Politikwissenschaftler @BalderGullveig erläutert, warum es möglich ist, diesen Irrsinn mit einer qualifizierten Mehrheit statt einstimmig zu beschließen, also mit welchen Tricks hier „gearbeitet“ wird.
Wer gerne mehr von Politikwissenschaftler Balder Gullveig lesen oder sich mit ihm austauschen möchte, findet ihn auf der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter): @BalderGullveig
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Die US-Präsidentschaftswahlen. Interview, 8. April 2024
Buchempfehlungen.
(Gesponserte Links.)
Weihnachtliches:
Peter Rosegger: Die schönsten Weihnachtsgeschichten.
Skandinavische Weihnachten: Die schönsten Geschichten von Astrid Lindgren, Hans Christian Andersen, Sven Nordqvist u.a. (Kinderbuch zum Vorlesen ab 5 Jahre)
Meine Arbeitsbücher:
Andrea Heistinger: Handbuch Biogemüse. Sortenvielfalt für den eigenen Garten.
Christina Bauer: Backen mit Christina.
Mein Lieblingsbuch:
Velma Wallis: Zwei alte Frauen: Eine Legende von Verrat und Tapferkeit.
Weitere Bücher:
Gloria von Thurn und Taxis: Lieber unerhört als ungehört. Lektionen aus meinem Leben.
Dr. Sucharit Bhakdi: Infektionen verstehen – statt fürchten.

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Grandiose Analyse! Vielen Dank und großes Kompliment an den trefflichen Verfasser!
Man fragt sich, was wir Bürger angestellt haben, dass wir mit solchen hochverräterischen Regierungen geschlagen sind!