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Neueste Entwicklungen zur Präsidentschaftswahl in den USA.

Ein Update zum grossen April-Interview.

Wie stehen aktuell die Chancen der beiden Kandidaten Joe Biden und Donald Trump? Und: wird Joe Biden tatsächlich am Ende der Kandidat der Demokraten sein? Darüber spreche ich in meiner Interviewreihe zur politischen Landschaft wieder mit Politikwissenschaftler @BalderGullveig (X/Twitter).

Wir haben ja Anfang April ein umfangreiches Interview zur US-Präsidentschaftswahl geführt. Nun, nach fast drei Monaten würde ich gerne mit Ihnen über den aktuellen Stand der Dinge sprechen. Was hat sich seither getan, und wie steht es heute in diesem wohl weltweit wichtigsten politischen Ereignis in diesem Jahr, der Wahl des US-Präsidenten am 5. November?

Bereits damals stand ja – trotz noch laufender Vorwahlen – fest, dass Biden und Trump als Sieger dieser Kandidatenauswahl hervorgehen würden. Das ist nun auch offiziell das Ergebnis. Beide haben nun die Wahlkampfmaschinen angeworfen. Das bedeutet in beiden Fällen, dass Wahlkampfspenden eingeworben und natürlich auch politische Statements abgegeben werden, die die Wahlchancen erhöhen sollen. Bei Biden erfolgt dies eher indirekt, also über seinen Regierungsapparat oder ihm nahestehende Medien. Trump setzt mehr auf persönliche Auftritte, die dann insbesondere in den sozialen Medien stark verbreitet werden. Er will so natürlich auch seine tatsächliche oder vermeintliche physische und psychische Fitness betonen und Biden so an seiner Hauptschwachstelle treffen. Es ist ja unübersehbar, dass Biden altersbedingte Ausfallerscheinungen zeigt, wie jüngst auch wieder bei dem G7-Treffen. Trump, der ja nur drei Jahre jünger ist als Biden, hat nun etwa in jeden seiner Auftritte eine kleine Tanzeinlage eingebaut, zur immer gleichen Musik. Das ist ein sehr einprägendes Gegensatzbild, wenngleich – oder vielleicht gerade weil – dies für einen auch schon 78-jährigen ja durchaus etwas ungewöhnlich ist.

Was haben diese bisherigen Statements und Auftritte aktuell in der politischen Stimmungslage insgesamt bewirkt? Ergaben sich in den letzten Wochen im Hinblick auf die Wählergunst signifikante Verschiebungen durch den beginnenden Wahlkampf?

Seit unserem letzten Gespräch hat sich das politische Gesamtbild nur geringfügig verändert. Trumps Chancen auf einen Wahlsieg sind noch einmal etwas angestiegen. Das ist allerdings meines Erachtens nicht auf den bisherigen Wahlkampf zurückzuführen. Entscheidend waren juristische Entscheidungen, oder sagen wir besser Scharmützel. Man wird den Demokraten nicht zu nahe treten, wenn man sagt, dass es eine zentrale Strategie war, Trump entweder als Kandidat gänzlich zu verhindern oder zumindest zu desavouieren, zu kriminalisieren. Das Ziel, ihn in einigen Bundesstaaten vom Wahlzettel zu streichen, indem man ihn unter Verweis auf die Unruhen in und um das Kapitol am 6. Januar 2021 aufständischer Bestrebungen bezichtigt, schien ja in einigen Bundesstaaten zunächst durchaus erreichbar. So hatte etwa das höchste Gericht in Colorado dies so entschieden und einige demokratisch regierte Bundesstaaten wollten nachziehen. Diese Strategie, Trump als Kandidat juristisch zu verhindern, wurde aber durch das höchste Bundesgericht, den Supreme Court, beendet und ist somit vollständig gescheitert. Einige andere Verfahren sind ausgesetzt, auch weil die anklagenden Staatsanwälte, in allen Fällen handelt es sich hier um den Demokraten nahestehende Personen, gravierende Verfahrensmängel begingen, etwa in Georgia. Einen Teilerfolg konnte man kürzlich in dem Strafverfahren gegen Trump in New York verbuchen, in dem ihn die Jury als schuldig in allen Fällen der Anklage befunden hatte. Politisch war dieser juristische Sieg seiner Gegner jedoch eher ein Pyrrhussieg, da sogar selbst ansonsten eher Biden bzw. den Demokraten nahestehende Medien diesen Prozess als politisch motiviert beschrieben haben. Das Strafmaß ist noch offen und wird vom Richter am 11. Juli verkündet. Wie der Zufall es will, ist dies vier Tage vor dem Parteitag der Republikaner, auf dem Trump formal als Sieger der Vorwahlen und damit zum Kandidaten nominiert wird. Aber dies wird kaum politische Auswirkungen haben, weil Trump sicher Berufung einlegen wird, und nach Ansicht hochkarätiger Experten in den USA die Chancen für eine Aufhebung des Urteils sehr groß sind. Es ist eher im Gegenteil so, dass bei einem nicht kleinen Teil der Bevölkerung in den USA der Eindruck entstanden ist, Trump werde politisch verfolgt, was er natürlich durch seine Vorwürfe einer Hexenjagd, die gegen ihn gerichtet sei, auch nach Kräften fördert. Im Gesamtbild hat ihm dies den einen oder anderen Prozentpunkt an Zustimmung eingebracht – sehr zum Verdruss der Demokraten.

Das heißt, der leichte Zuwachs an Wählerzustimmung für Trump, der in aktuellen landesweiten Umfragen erkennbar ist, ist weniger auf den aufziehenden Wahlkampf zurückzuführen, sondern eher auf die juristischen Erfolge Trumps und die erkennbar gescheiterte Strategie der Demokraten, ihn juristisch als Kandidaten zu verhindern? Dann kann er diesen Vorsprung vermutlich durch den eigentlichen Wahlkampf noch weiter ausbauen?

Zunächst einmal möchte ich den Blick auf landesweite Umfragen nur dem sehr eiligen Leser empfehlen. Wir kennen diese landesweiten Erhebungen natürlich von unseren Wahlprognosen, und da haben diese eine sehr hohe Aussagekraft. In den USA ist dies bedingt durch das Wahlsystem nicht so. Wir hatten im letzten Interview ja ausführlich über diese Besonderheiten gesprochen. Die Wähler wählen ja nicht Trump oder Biden direkt, sondern Wahlmänner. Diese werden von jedem Bundesstaat in das Electoral College entsandt, wobei sich die Anzahl der Wahlmänner pro Bundesstaat nach der Bevölkerung richtet. Insgesamt gibt es 538 Wahlmänner. Der zukünftige Präsident benötigt eine Mehrheit von mindestens 270 Vertretern. Nun ist es so, dass in vielen Bundesstaaten das Ergebnis der Wahl im November bereits heute feststeht, zumindest mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden kann. Dies gilt für eine erstaunlich hohe Zahl an Bundesstaaten, von denen man mit hinreichender Sicherheit sagen kann, ob sie im November mehrheitlich für die Demokraten oder Republikaner stimmen. Zudem gilt das Prinzip „the winner takes it all“, das heißt, der Wahlsieger in einem Bundesstaat erhält alle Wahlmännerstimmen. Man sollte also eher auf die Staaten achten, die noch nicht eindeutig einer Partei oder einem Kandidaten zuneigen. Diese werden Swing States oder etwas martialischer auch Battleground States genannt. Sollte sich nun nicht wirklich etwas ereignen, was enorm disruptiv wirkt, kann man davon ausgehen, dass der Wahlausgang in diesen Bundesstaaten entschieden wird. Derzeit sind dies Wisconsin, Pennsylvania, Michigan, Arizona, Georgia, Nevada und Minnesota.

Das heißt, der Wahlkampf wird sich wohl stark auf diese Staaten konzentrieren, sowohl medial wie auch durch persönliche Präsenz. Lässt sich da bereits heute eine Prognose treffen oder ein Trend erkennen, anhand dessen man ein mögliches Gesamtergebnis auf Bundesebene erwarten kann?

Das ist durchaus der Fall. Sie können davon ausgehen, dass natürlich auch die Strategen beider Kandidaten diese Lage genau analysieren. Wenn man tiefer eindringt, erhält man ein für unsere Politikwahrnehmung durchaus kurioses Bild. Die USA haben etwa 330 Millionen Einwohner, davon sind etwa 260 Millionen grundsätzlich wahlberechtigt. In einigen Staaten ist eine bestimmte Registrierung erforderlich, dies macht nicht jeder, so dass die Zahl der potentiellen Wähler auf etwa 230 Millionen absinkt, von denen dann vielleicht 160 Millionen tatsächlich wählen. Wie eben aufgezeigt, bilden jedoch nur die Swing States das Zünglein an der Waage. In den genannten Swing States leben etwa 55 Millionen Menschen. Wendet man dieses Zahlenschema von eben auf diese Bevölkerung an, werden davon etwa knapp 30 Millionen wählen. Nun liegt es aber in der Natur eines Swing States, dass es eben keine Mehrheit, sondern zwei etwa gleich große Blöcke gibt und einen kleinen Anteil bisher Unentschiedener. Sagen wir 45 zu 45 zu 10. Die 10, das wären die 10%, um die es wirklich geht. Also rechnerisch drei Millionen, lassen sie es fünf sein. Eine erstaunliche Zahl. Auf die werden sich die Wahlkämpfer und natürlich die Kandidaten selbst konzentrieren.

Lässt sich diese wirklich überraschend geringe Zahl an Personen, die diese Wahl vermutlich entscheiden, genauer beschreiben? Um welche Wählergruppen geht es, und wie wollen die beiden Parteien und Kandidaten diese ansprechen?

Bei den Demokraten zeichnet sich dies noch nicht präzise ab. Man versucht hier eher, die vermeintlichen Erfolge Bidens insbesondere auf wirtschaftlichen Feldern herauszustellen. Ob dies überzeugt, ist fraglich, zentrale Indikatoren wie etwa die Inflation sprechen eher dagegen. Bei Trump ist seine Strategie bereits deutlich erkennbar. Er setzt auf Stimmen, die er in ethnischen Minderheiten gewinnen kann. Konkret geht es um Schwarze und Hispanics. Beide Gruppen waren bisher eher Demokraten zuneigt, aber seit einiger Zeit ist in diesen Bevölkerungsgruppen eine große Unzufriedenheit mit der Politik Bidens erkennbar, die Trump natürlich nach Kräften schürt. Das macht er, indem er für publikumswirksame Auftritte mit Vertretern der schwarzen oder lateinamerikanischen Bevölkerung sorgt. So war er kürzlich in einer Kirche, die nahezu ausschließlich von Schwarzen besucht wird, und die für ihre Gospel-Gesänge bekannt ist. Ein weiteres Beispiel ist, dass er einen schwarzen Rap-Star auf die Bühne in New York geholt und sich als großen Fan seiner Musik gezeigt hat.

Man sieht es auch bereits in politischen Aussagen Trumps, wenn auch etwas kaschiert. Seine Anhänger sind ja überwiegend Weiße und es wäre vermutlich kontraproduktiv, wenn er eine Politik explizit für die beiden genannten Minderheiten postuliert. Er hat nun seit kurzem aber eine Ankündigung in seine Aussagen aufgenommen, die wie so oft in den USA sehr eingänglich, einer Alliteration gleichend, ist: no tax on tips, keine Steuer auf Trinkgelder. Er stellt diese Aussage gezielt in seine Ausführungen, in denen er Bidens Politik als nachteilig für Minderheiten darstellt und bringt dann diese seine Ankündigung der Steuerstreichung auf Trinkgelder, wohl einkalkulierend, dass ein überproportional großer Anteil an Schwarzen und Hispanics in hierfür relevanten Berufsfeldern tätig sind, etwa Hotels oder Gastronomie. Und ich denke, man wird von Trump noch mehr dieser Auftritte mit Schwarzen und Hispanics sehen, auch, weil mit Arizona, Georgia und Nevada gleich drei Swing States mit etwa einem Drittel weit überdurchschnittliche Bevölkerungsanteile dieser beiden ethnischen Gruppen aufweisen. Inwiefern es Biden hier gelingt, dieses gezielte Eindringen Trumps in diese ihm bisher recht zuneigten Wählergruppen abzuwehren, kann durchaus als wahlentscheidend angesehen werden.

Sie haben gerade etwas scheinbar nebensächlich eine Formulierung gebraucht, die – und so weit kenne ich Sie nun doch schon – Sie wohl kaum zufällig so gewählt haben. Sie haben gesagt, „sollte sich nun nicht wirklich etwas ereignen, was enorm disruptiv wirkt“. Haben Sie ein Ereignis vor Augen, das so wirken könnte?

Ja, Sie kennen mich wirklich wohl sehr gut. In der Tat, ich sehe ein solches mögliches Ereignis. Und zwar schon nächste Woche. Am 27. Juni findet das erste von zwei geplanten TV-Duellen zwischen Biden und Trump statt. Normalerweise ist die Bewertung des Ausgangs solcher Duelle in den Medien und der Öffentlichkeit ebenso polarisierend wie vorhersagbar, man sieht den eigenen Kandidaten als Gewinner des Duells. Nächste Woche wird es jedoch spannend, es kann durchaus eine Vorentscheidung oder eine Grundsatzentscheidung zu Bidens Kandidatur fallen. Hierzulande wird dieses Duell medial bisher kaum erwähnt, in den USA ist dies jedoch natürlich ein großes Thema. Beide Seiten haben lange über die Spielregeln gestritten, die nun feststehen. Und die große, die entscheidende Frage ist natürlich, kann sich Biden in diesem Duell frei von seinen altersbedingten Ausfallerscheinungen präsentieren, oder werden – wie in den letzten Wochen bisweilen der Fall – seine Einschränkungen erbarmungslos einem Millionenpublikum offengelegt. Das wäre natürlich für die Demokraten der Supergau. Das muss nicht so kommen. Ich habe Biden bei seinem Bericht Anfang März zur Lage der Nation („State Of The Union“) verfolgt, eine etwa einstündige Rede, die als eine der wichtigsten Auftritte des Präsidenten im Kalenderjahr gilt. Da hat er durchaus konzentriert gewirkt und keinerlei Ausfälle gezeigt. Wenn ihm das nächste Woche wieder gelingt, wird er wohl weiterhin Kandidat der Demokraten bleiben. Sollte der Auftritt misslingen, dürfte seine Ablösung eingeleitet werden. Dass diese Bedeutung des TV-Duells auch den Demokraten und natürlich ihm selbst klar ist, zeigt auch, dass sich Biden bereits zur Vorbereitung auf dieses Ereignis zurückgezogen hat und die nächsten Tage in Klausur auf seinen Auftritt vorbereitet wird. Die Länge dieser Auszeit ist für einen US-Präsidenten dabei mehr als ungewöhnlich.

Sie hatten eine mögliche Ablösung Bidens als Kandidat bereits im Interview im April angedeutet. Ich war wie viele unserer Leser darüber sehr erstaunt, weil wir darüber bis dato nichts in den Medien gehört hatten. Wie würde diese Ablösung formal ablaufen und wer wären mögliche Ersatzkandidaten?

Formal wird der Präsidentschaftskandidat auf dem Parteitag der Demokraten („Democratic National Convention“) gekürt. Dieser findet vom 15. bis 18. Juli in Wisconsin, einem der Swing States statt. Da kann grundsätzlich auch ein Kandidat nominiert werden, der an den Vorwahlen gar nicht teilgenommen, geschweige denn diese gewonnen hat. Wer das sein könnte, das ist natürlich die große Frage. Ich halte es neben der Fokussierung der juristischen Abwehrversuche zu Trump für das zweite eminente strategische Versagen der Demokraten, nicht rechtzeitig einen möglichen Alternativkandidaten aufgebaut zu haben. Man hätte den oder die dann gegebenenfalls auch als Vizepräsidenten aufstellen können, falls Biden sich doch behaupten kann. So aber stehen die Demokraten recht hilflos da. Es werden natürlich bereits Personen gehandelt, etwa Michelle Obama. Oder zunehmend öfter auch der kalifornische Gouverneurs Gavin Newsom, von Trump zur Verdeutlichung seiner persönlichen Einschätzung dieses Demokraten oft wenig höflich Newscum genannt. Eine Übersetzung dieses Begriffs will ich unseren Lesern ersparen. Newsom ist in linken Kreisen durchaus nicht unbeliebt, hat als weißer Mann aber nicht die Unterstützung des diversitätsfokussierten LGBTQIA+-Flügels. Deshalb käme meines Erachtens vielleicht auch Pete Buttigieg in Frage, der als amtierender Verkehrsminister bereits einen landesweiten Bekanntheitsgrad erlangt hat. Der ist zwar auch männlich und weiß, aber wenigstens schwul.

Mit großer Spannung erwarte ich das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten am 5. November 2024. Ich darf mich sehr herzlich für dieses ausgesprochen informative Interview und Ihre Expertise bedanken. Dankeschön.


Wer gerne mehr von meinem Gesprächspartner lesen oder sich mit ihm austauschen möchte, findet ihn auf der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter): @BalderGullveig

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