Noch 8 Tage sind es. Dann steht das Ergebnis der US-Wahl fest.
In Deutschland sowie Österreich wird Kamala Harris in linken Medien als die „grosse Retterin“ bezeichnet. Nun denn. In den USA und im Rest der Welt sieht man das anders. Und zwar ganz anders. Trump gilt als grosse Hoffnung, was das Ende des Krieges in der Ukraine betrifft. Und nicht nur das. Er gilt als Garant für einen Aufschwung der Wirtschaft, für eine Wiederherstellung der Sicherheit und der Meinungsfreiheit. Von vielen wird auch ein Ende der grün-links-woken Politik erwartet. „Hope“ war einer der Begriffe, die Donald Trump in letzter Zeit häufiger verwendet hat. Ja, die Menschen brauchen wieder Hoffnung. Nicht nur in den USA. Der Ausgang dieser Wahl, deren Bedeutung von so vielen unterschätzt wird, wird mit Spannung erwartet. Über die Prognosen, deren Einordnung und die Wahl als solches spreche ich in meiner Interviewreihe zur politischen Landschaft wieder mit Politikwissenschaftler @BalderGullveig (X/Twitter).
Wir stehen etwa eine Woche vor der Wahl: Wie ist das politische Stimmungsbild in den USA? Welchen Ausgang lassen die letzten Umfragen vermuten?
Das aktuelle politische Stimmungsbild zeigt, dass die USA mehr denn je in zwei gleich große Blöcke geteilt sind, die für jeweils eine der beiden großen Parteien stehen. Dies gilt sowohl für die landesweit abgegebenen Stimmen, die als Popular Vote bezeichnet werden und völlig bedeutungslos sind, wie auch für die wahlentscheidenden Swing States.
Die Umfragewerte zu den insgesamt abgegebenen Stimmen streuen geringfügig um die Werte 49% zu 49%, mit etwa 2%-Anteil für Splitterparteien. Auch die wichtigen Swing States zeigen ein ähnliches Verhältnis. Wobei man natürlich sagen muss, dass Swing States ja gerade auch so definiert sind, dass der Wahlausgang hier eben noch nicht mit hinreichend hoher Belastbarkeit vorhergesagt werden kann.
Das heißt, Sie erwarten einen knappen Ausgang der Wahl am kommenden Dienstag?
Nein, das nun nicht. Vielleicht bei der Anzahl der insgesamt für die Kandidaten abgegeben Stimmen. Diesen Popular Vote wird wohl Harris knapp für sich entscheiden. Aber das ist eben eine statistische Größe, die in den USA – ganz anders als hier bei uns – keine Auswirkungen hat. Das entscheidende System der Wahlmänner, das sogenannte Electoral College, wird jedoch wohl zu einem vergleichsweise recht eindeutigen Ergebnis führen. Schauen Sie das offizielle Ergebnis der letzten Präsidentschaftswahlen an.
Hier erhielt Biden 51,3% aller Wahlstimmen, Trump 46,8%. Im Electoral College gewann Biden jedoch 306 Wahlmännerstimmen, Trump nur 232. Bei der Wahl davor gewann Hillary Clinton sogar den Popular Vote mit 48,2% gegen Trump mit 46,0%. Dieser hatte jedoch mit 306 zu 232 Wahlmännerstimmen – also dem gleichen Ergebnis im Electoral College wie bei der Nachfolgewahl – das höchste Amt der USA für sich entschieden. Ähnliche Zahlenwerte würde ich auch in einer Woche erwarten.
Bevor wir zu Ihrer Prognose zum Wahlausgang und damit zum zukünftigen US-Präsidenten kommen – vielleicht können Sie kurz schildern, wie die Wahlnacht dann medial ablaufen wird. Das wird ja wahrscheinlich auch sehr spannend präsentiert.
Ja, das ist natürlich ein absolutes Top-Ereignis, in den USA sowieso, aber auch weltweit. Milliarden von Zuschauern werden rund um den Globus die Ereignisse mitverfolgen. Vor dem Fernseher und natürlich auch in den Sozialen Medien. Die Berichterstattung wird sich natürlich immer um die gewonnenen Wahlmänner drehen. Davon gibt es 538 und der Sieger benötigt mindestens 270 von ihnen. Das wird der Kern der Berichte sein, also der jeweils aktuelle Stand und die Entwicklung der Auszählung in den entscheidenden Staaten, eben der Swing States.
Das heißt, am Anfang steht es wie beim Fußball 0:0 und dann wird hochgezählt bis zum Endergebnis?
Mit einem 0:0 wird kein TV-Sender starten. Das liegt daran, dass in vielen Bundesstaaten das Ergebnis ja bereits feststeht. Natürlich nicht das exakte numerische Wahlergebnis, aber welche Partei, mithin welcher der beiden Kandidaten die jeweiligen Wahlmänner des betreffenden Staates für sich gewinnen kann. Es gilt ja das Prinzip The Winner takes it all. Deshalb werden die ersten Zahlen eher bei etwa 200 zu 130 liegen, die bereits fest zugeordnet werden können. 200 übrigens für Harris.
Das ist aber recht deutlich. Das überrascht mich. Also liegt die Spannung dann in der Verteilung der verbleibenden etwa 200 noch „verfügbaren“ Wahlmänner?
So ist es. Die Sender werden natürlich hier auch laufend Aktualisierungen vornehmen. Und Prognosen und Szenarien zum Endergebnis zeigen. Die Wahllokale schließen je nach Bundesstaat zu unterschiedlichen Uhrzeiten, entsprechend gestaffelt erfolgt auch die Auszählung. So gegen 2 oder 3 Uhr unserer Zeit sollten dann etwa 100 weitere Wahlmänner zugeordnet werden können. Der Zwischenstand dürfte dann bei etwa 220 zu 220 liegen. Dann beginnt der eigentliche Wahlkrimi um die etwa noch verbleibenden 100 Wahlmänner der Swing States. Das ist dann Hochspannung pur.
Wann steht dann die Entscheidung fest und mit welchem Ausgang rechnen Sie?
Die Entscheidung fällt wie gesagt in den Swing States. Das sind je nach Sichtweise und Definition aktuell sieben, maximal neun Staaten. Hier wird es bis zu einer recht weitgehenden Auszählung lange heißen: too close to call. Also noch nicht endgültig bewertbar. Dann lassen sich sukzessive mehr Swing States und deren Wahlmänner einem Kandidaten zuordnen. Noch nicht endgültig, aber von der Tendenz her. Man bezeichnet dies als leaning. Irgendwann gegen Ende der Auszählung erfolgt dann von den Sendern bzw. deren Analysten die finale Zurechnung, auch wenn die Auszählung noch nicht abgeschlossen, der Gewinner jedoch nach Ansicht der Experten arithmetisch feststeht. Sollten bevölkerungsreiche Staaten wie Pennsylvania, Georgia oder North Carolina mit entsprechend vielen Wahlmännern hier schnell zugeordnet werden können, könnte das Ergebnis vielleicht um 5 Uhr unserer Zeit feststehen. Bleibt es lange unklar, erleben auch die Normalaufsteher die Schlussphase noch live mit. Mit Prognosen liegt man ja in der Regel falsch, weshalb man sie öffentlich eigentlich vermeiden sollte. Aber Ihrem Charme erliegend sage ich, das Rennen endet 312 zu 226 zugunsten von Trump.
Jetzt könnte unser Interview eigentlich zu Ende sein, aber es wird ja neben dem Präsidenten auch das Repräsentantenhaus und rund ein Drittel des Senats gewählt. Welche Bedeutung haben diese Wahlen generell für die Regierungszeit des zukünftigen US-Präsidenten?
Das politische System der USA unterscheidet sich ja sehr deutlich von dem Deutschlands wie auch Österreichs. Es gibt aber auch gewisse Gemeinsamkeiten. Alle drei Länder verfügen über ein legislatives Zweikammersystem. Das Repräsentantenhaus kann man mit dem Deutschen Bundestag und dem Österreichischen Nationalrat vergleichen, den Senat mit dem Bundesrat, der ja in Deutschland und Österreich den gleichen Namen trägt. Es gibt natürlich jeweils nicht unerhebliche Unterschiede bei den Aufgaben und Kompetenzen. Übrigens auch bei der demokratischen Legitimation. So werden eben die Mitglieder des Senates in den USA im Gegensatz zu uns auch direkt gewählt. Und der Senat hat auch eine größere Machtfülle als die zweiten Kammern bei uns.
Schauen wir zunächst auf das Repräsentantenhaus. Hier sitzen 435 Abgeordnete, die alle zwei Jahre gewählt werden. Seit den letzten Wahlen haben hier die Republikaner mit 221 Sitzen eine knappe Mehrheit. Das Ergebnis der Wahl nächste Woche ist völlig offen. Ähnlich wie bei der Wahl zum Präsidenten sind natürlich auch hier bereits viele Wahlbezirke fest in der Hand einer Partei, also sozusagen in der Wahlentscheidung vorhersagbar. Aber die Umfragen liegen hier alle bei etwa 200 zu 200, also einen absoluten Gleichstand. Umkämpft sind also etwa 30 bis 35 Mandate, mit offenem Ergebnis. Es wird auf jeden Fall knapp werden. Ich rechne mit einem leichten Vorteil für die Demokraten, etwa in der Höhe 220 zu 215. Aber das ist sehr spekulativ.
Im Senat sitzen 100 Abgeordnete, aus jedem Bundesstaat zwei. Die Amtszeit beträgt sechs Jahre, ein Drittel wird alle zwei Jahre neu gewählt. Heute haben hier die Demokraten – vier unabhängige Mandatsträger eingerechnet, die aber stets zuverlässig mit den Demokraten stimmen – mit 51 zu 49 Sitzen eine hauchdünne Mehrheit. Nächste Woche stehen 34 Mandate zur Wahl an. Von diesen 34 neu zu besetzenden Sitzen werden heute 19 von den Demokraten und vier von Unabhängigen gestellt, nur elf von den Republikanern. Das ist nicht so gut für die Partei von Kamala Harris. Es gilt als recht sicher, dass die Demokraten im Senat die Mehrheit verlieren. Ich rechne mit einem knappen Resultat von 49 zu 51 zugunsten der Republikaner.
Das heißt, Sie rechnen in beiden Kammern mit einem Mehrheitswechsel. Das würde bedeuten, wer auch immer Präsident wird, er könnte sich nicht auf eine Mehrheit in beiden Kammern stützen. Was wären dann die Folgen?
Grundsätzlich haben wir über diesen Sachverhalt ja bereits im April-Interview gesprochen. Ich hatte damals bereits darauf hingewiesen, dass Konstellationen, in denen die Partei, der der Präsident angehört, sowohl im Senat wie auch im Repräsentantenhaus eine Mehrheit haben, eher die Ausnahme als die Regel sind. Meist liegt nur in einer Kammer eine Mehrheit der Präsidentenpartei vor. Bill Clinton hatte sogar während seiner beiden Amtszeiten meist eine Mehrheit in beiden Kammern gegen sich – und konnte dennoch Akzente setzen, die ihn dennoch – zumindest in den Augen seiner Anhänger – zu einem erfolgreichen Präsidenten werden ließen.
Was könnte denn das Repräsentantenhaus und der Senat politisch obstruieren?
Das Repräsentantenhaus kann Gesetzesvorhaben des Präsidenten blockieren. Dies ist insbesondere in der Haushaltspolitik für den Amtsinhaber von Nachteil. Denn hier kann die Oppositionspartei mit ihrer Mehrheit bis zum fast schon traditionellen Shutdown eskalieren und somit Kompromisse auch auf anderen Politikfeldern erzwingen.
Der Senat ist unter anderem zuständig für die Ratifizierung internationaler Verträge und der Bestätigung der Ernennungen des Präsidenten, was etwa Richter am Supreme Court, den Obersten Gerichtshof der USA anbelangt. Hier kann der Senat blockieren, zumindest verzögern und in öffentlichen Anhörungen den Kandidaten und damit auch den Präsidenten öffentlich vorführen.
Würde das beide Amtsinhaber gleichermaßen in der Amtsausübung beeinträchtigen und was kann der Präsident bei einer drohenden Blockade unternehmen?
Grundsätzlich werden alle Präsidenten in ihrer Gestaltungsmacht eingeschränkt, wenn eine oder gar beide Kammern mehrheitlich von der Opposition gestellt werden. Will man unbedingt einen Unterschied im Ausmaß der Einschränkung festmachen, dann würde ich den eher bei einer Präsidentin Harris sehen. Sie steht ja wie für linke Parteien nicht unüblich eher für einen starken Staat, der entsprechend auf hohe fiskalische Einnahmen setzt. Trump hingegen hat ja umfangreiche Steuersenkungen und -befreiungen angekündigt, was sich auch mit seinem Staatsverständnis deckt. Hier würde natürlich ein mehrheitlich demokratisches Repräsentantenhaus dann unter Druck geraten und es wäre durchaus mit Abweichlern zu rechnen, die den Steuersenkungsplänen eines möglichen Präsidenten Trump doch zustimmen. Schließlich stehen sie ja in zwei Jahren selbst wieder zur Wahl. Auch bei möglichen neuen internationalen Vereinbarungen, die ja sehr viel stärker im Planungsraum der Demokraten stehen als in jenem der Republikaner, hätte es eine Präsidentin Harris bei einem republikanisch dominierten Senat nicht einfach. Deshalb habe ich auch diese beiden Themen, also Haushalts- und Fiskalpolitik sowie internationale Verträge genannt und nicht etwa Impeachment-, also Amtsenthebungs-Verfahren. Auch hier sind Mehrheiten in den Kammern wichtig, Impeachments spielen aber in der politischen Praxis eine weit geringere Rolle als in der medialen Öffentlichkeit.
Was kann ein Präsident denn nun machen, um trotz fehlender Mehrheit zumindest in einer Kammer der Legislative dennoch politisch gestalten zu können?
Dafür verfügt der US-Präsident über ein Instrument, das wir hier so nicht kennen und das ihn auch so mächtig macht, wie er de facto ist: die Executive Order. Das ist eine Verfügung oder, wie es oftmals auch etwas abwertend übersetzt wird, ein Dekret. Das Ziel ist eine schnelle Handlungsfähigkeit des Präsidenten, also eine temporäre Umgehung oder Ausschaltung der Kompetenzen des Kongresses. Eine Executive Order erlangt sofort Gesetzeskraft. Natürlich nur innerhalb bestimmter Grenzen. Sie darf nicht gegen die Verfassung verstoßen. Und es müssen ausreichend Finanzmittel zur Durchsetzung vorhanden sein. Und hier wird ein oppositionelles Repräsentantenhaus natürlich alles unternehmen, um eine unliebsame Executive Order ins Leere laufen zu lassen. Der Präsident kann dann ein Veto einlegen, das der Kongress nur mit einer Zweidrittelmehrheit überstimmen kann. Das ist heute und auch zukünftig eine nur in absoluten Ausnahmefällen erreichbare Größe.
Sie sprachen eben von einer temporären Umgehung der beiden legislativen Kammern. Inwiefern temporär?
Executive Orders gelten de facto nur für die eigene Amtszeit, weil sie durch einen neuen Präsidenten sofort außer Kraft gesetzt werden können – und durch neue, zeitgleich erlassene Verfügungen eine völlig gegensätzliche politische Richtung eingeschlagen werden kann. Dies ist es übrigens, wenn Trump oftmals davon spricht, auf bestimmten Politikfeldern sofort („day one“) zu reagieren, etwa im Bereich der Grenzsicherung.
Ist so ein Regieren per Executive Order nicht sehr selten?
Nein, keineswegs. In seiner zurückliegenden Amtszeit erließ Trump 220 solcher Verfügungen. Also grob eine pro Woche. Das klingt hoch, liegt aber immer noch unter der Zahl seiner unmittelbaren Amtsvorgänger. Obama kam auf 276, George W. Bush auf 291 und Clinton sogar auf 364. Man sieht, hier liegt die eigentliche Macht des US-Präsidenten. Und im Falle eines Wahlsieges von Trump wird dieser wohl nicht zögern, dieses Instrument schnell und umfangreich zu nutzen, zumindest wenn er sich nicht auf eine eigene Mehrheit in beiden Kammern stützen kann. Er muss auch nicht auf politische Befindlichkeiten oder seine zukünftigen Wahlchancen achten. Es wäre seine zweite Amtszeit, eine dritte ist nicht möglich. Er wäre somit in der Lage, seine politischen Vorstellungen schnell und auch kompromisslos durchzusetzen.
Ich darf mich sehr herzlich für dieses ausgesprochen informative Interview und Ihre Expertise bedanken. Die Kraft dieser Executive Order und die bisherige Häufigkeit ihrer Anwendung waren mir nicht bekannt. Umso mehr steigt nun meine Spannung auf das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten am 5. November 2024.
Wer gerne mehr von meinem Gesprächspartner lesen oder sich mit ihm austauschen möchte, findet ihn auf der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter): @BalderGullveig
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Danke für das Update. Wieder viel gelernt. Speziell die Überlegungen zum Regieren per Verordnung und den damit verbundenen budgetären Fragen finde ich sehr hilfreich!