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Die Präsidentschaftswahlen in den USA.

Der Status Quo, die Prognose und die Folgen für die USA und Europa.

Die politische Weltlage ist dramatisch eskaliert. Nach vielen Jahren einer scheinbaren Entspannung treten global Spannungen auf, die nicht nur regionale Krisen hervorrufen, sondern das scheinbare geopolitische Gleichgewicht entscheidend verändern. Ukraine, Taiwan, China, BRICS-Staaten, das sind die Überschriften der Herausforderungen der nächsten Jahre.

Eine Schlüsselfunktion kommt dabei den Amerikanern zu, die als (alleinige) Supermacht entscheidend an diesen Geschehnissen mitwirken. Die anstehende Wahl des Präsidenten der Vereinigten Staaten ist dabei eine zusätzliche politische Weichenstellung.

Über dieses Großereignis spreche ich in meiner Interviewreihe zur politischen Landschaft wieder mit Politikwissenschaftler @BalderGullveig (X/Twitter).


Dieses Jahr, am 5. November, finden in den USA zum 60. Mal die Wahlen zum Präsidenten der Vereinigten Staaten statt. Gewählt werden auch das Repräsentantenhaus und rund ein Drittel des Senats.
Was ist Ihre persönliche Einschätzung: Wer wird der nächste Präsident der Vereinigten Staaten und warum?

Ich gehe davon aus, dass Trump die Wahl gewinnen wird. Darauf deuten auch die aktuellen Umfragen hin, die ihn etwa 3 Prozentpunkte vor Biden sehen. Das ist natürlich nicht viel, und die Zeit bis zum Wahltermin ist politisch betrachtet noch eine gewaltige Etappe. Es gibt aber substanzielle Entwicklungen, die meines Erachtens für einen Sieg Trumps sprechen.

Da ist zum einen zu beobachten, dass Trump viele Hürden, insbesondere juristische, die seine Reputation oder gar seine Teilnahme an der Wahl gefährdet hatten, erstaunlich effektiv überwinden konnte. Zudem spielt ihm in die Karten, dass auf der Seite Bidens politische und persönliche Erschwernisse vorliegen, die bis zum Wahltermin kaum oder gar nicht entschärft werden können.

Ich denke da etwa an das auch in den USA sehr kontrovers diskutierte Thema der Grenzsicherung beziehungsweise Migration. Biden steckt hier in einem großen Dilemma. Würde er die Zahl der Einwanderer an der Südgrenze der USA stärker eindämmen, würde ihm das von Teilen seiner liberalen Wählerschaft massiv angekreidet werden. Zudem sind die Republikaner durchaus bestrebt, ihn etwa mittels haushaltsrechtlicher Hebel an der Umsetzung entsprechender Maßnahmen zu hindern, damit das Thema weiterhin politisch brisant bleibt.

Wenn Biden wie bisher in dieser Frage nicht bald aktiv wird oder werden kann, wird Trump weitere Stimmen mobilisieren. Auch wurde gelegentlich von den Medien Bidens Alter und seine unverkennbar beeinträchtigten körperlichen und teilweise auch geistigen Fähigkeiten thematisiert. Auch das spricht eher gegen Biden. Er hat in letzter Zeit seine öffentlichen Auftritte reduziert oder zumindest verkürzt. In der heißen Phase des Wahlkampfes wird diese Vorgangsweise kaum durchzuhalten sein. Und eine in einem Fernsehduell mit Trump offensichtliche Verwirrung Bidens – wie bereits mehrfach aufgetreten – wäre natürlich eine Art Supergau.

Die Wahlen in den Vereinigten Staaten unterscheiden sich doch sehr von jenen, wie wir sie etwa in Österreich oder Deutschland kennen. Hier denke ich zum Beispiel an das Mehrheitswahlrecht und an das System der Kandidatenauswahl der Parteien generell.

Der Präsident übt mit weitem Abstand das wichtigste Amt im Regierungssystem der USA aus. Wir haben ja beide, also wir in Deutschland und Sie in Österreich, ein Staatsoberhaupt gleichen oder zumindest ähnlichen Namens. Aber unsere Bundespräsidenten sind von der Kompetenzausstattung in keiner Weise mit dem Präsidenten vergleichbar.

In den Vereinigten Staaten ist in dieser Funktion das Staatsoberhaupt und der Regierungschef gebündelt. Hinzu kommt, und das ist für die USA mit ihrer weltweiten Militärpräsenz nicht unwichtig, er ist auch der Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Er ist für seine Amtsausübung auch mit deutlich mehr Macht ausgestattet als die Bundeskanzler Deutschlands oder Österreichs. So kann der amerikanische Präsident etwa mittels sogenannter Executive Orders Dekrete erlassen, die sehr weitreichende Regelungswirkung aufweisen und einer persönlichen Gesetzgebungsgewalt ohne Zustimmungsnotwendigkeit des Kongresses sehr nahe kommen. Es gibt natürlich auch machtkontrollierende und -begrenzende Instanzen und Regeln.

Wir sprechen ja heute über die anstehende Wahl und weniger das Regierungssystem als solches. Deshalb will ich auf diese Checks and Balances nicht näher eingehen. Aber eine im Wahlsystem angelegte Begrenzung ist etwa, dass der Präsident nur einmal wiedergewählt werden kann. So lange Amtszeiten wie etwa bei Helmut Kohl oder Angela Merkel sind deshalb nicht möglich. Nach spätestens acht Jahren ist Schluss.

Bevor wir in die Details der Wahl an sich einsteigen, möchte ich zwei Besonderheiten voranstellen. Wir haben ja in Österreich und Deutschland auf vielen Ebenen des politischen Systems eine Kandidatenselektion über eine Verhältniswahl. In den USA dominiert generell das Mehrheitswahlprinzip. Das kennen wir in Deutschland natürlich auch, etwa bei unseren Zweitstimmen bei Bundestagswahlen.

Der Verzicht auf Elemente eines Verhältniswahlrechts in den Vereinigten Staaten hat aber konsequenterweise dazu geführt, dass es nur zwei relevante Parteien gibt, die Demokraten und die Republikaner. Das Entstehen von neuen Parteien ist unter einem Mehrheitswahlrecht nicht gänzlich unmöglich, aber weder für Wähler noch für Kandidaten attraktiv, da nur der Gewinner in den Genuss des Mandats- oder Machterhalts kommt. Es ist somit vergebene Liebesmüh‘, neue und somit anfangs naturgemäß kleine Parteien zu gründen. Entwicklungen, wie wir sie sowohl bei Ihnen in Österreich wie bei uns in Deutschland kennen, dass also 20, teilweise noch mehr Parteien bei Wahlen miteinander konkurrieren und davon dann vier, fünf oder teilweise auch noch mehr in die Parlamente einziehen, gibt es in den USA nicht.

Letztlich sorgt das amerikanische Mehrheitswahlrecht auch dafür, dass es keine Koalitionen gibt. Solche Konstruktionen wie die derzeitige Ampelregierung aus drei Parteien in Deutschland sind also von vornherein nicht möglich. Das ist die eine Besonderheit. Die zweite ist, dass in einem recht komplexen und langwierigen Verfahren, den sogenannten Vorwahlen, die Kandidatenauswahl erfolgt. Es wird also festgelegt, zunächst auf Ebene der einzelnen Bundesstaaten, wer für die Demokraten, und wer für die Republikaner antreten kann, also für die Bürger zur Wahl stehen wird.

Wir werden sicher gleich auf Details dazu eingehen. Vorausschicken möchte ich aber, dass diese Kandidatenauswahl durch so etwas wie die Parteimitglieder erfolgt, auch wenn es diese so in einer mit uns vergleichbaren Form nicht gibt. Es geht eher um eine recht formlos zum Ausdruck gebrachte Parteipräferenz. In einzelnen Bundesstaaten können sogar alle Wahlberechtigten mitwirken. Das ist ein riesiger Unterschied zu unseren politischen Auswahlprozessen für hohe Regierungsämter.

Bei Ihnen in Österreich wie auch bei uns in Deutschland entscheiden ja wenige Delegierte, man könnte auch sagen Funktionäre, solche Fragen. Eine Begebenheit wie etwa hier vor der letzten Bundestagswahl, als das CDU-Präsidium die hochstrittige Frage entschied, ob Armin Laschet oder Markus Söder als Kanzlerkandidat der Union gekürt wird, ist somit bei der Präsidentenwahl unmöglich. Bei uns wurde diese Frage von etwa 50 Funktionären, vermutlich eher von fünf Meinungsführern festgelegt, in den Vereinigten Staaten entscheiden dies Millionen Bürger im Rahmen der sogenannten Vorwahlen.

Seit Anfang des Jahres laufen ja diese Vorwahlen, in denen – wie Sie sagen – durch die Gesamtheit aller Wahlberechtigten entschieden wird, welche Kandidaten letztendlich zur eigentlichen Wahl antreten werden. Wie laufen diese Vorwahlen ab, und wie ist da der aktuelle Stand?

Dieser Machtfülle entsprechend ist die Wahl des Präsidenten aufwändig und vor allem über einen langen Zeitraum angelegt. Jeder kennt natürlich den eigentlichen Wahltag. Aber dem geht ein langes Verfahren voraus, das dieses Jahr am 15. Januar begonnen hat: eben die Vorwahlen.

Dieses Verfahren erscheint vielen auf den ersten Blick kompliziert zu sein, wenig einheitlich und möglicherweise antiquiert. Aber der Reihe nach. Es gibt keinen nationsweit einheitlichen Wahltag. Vielmehr erstreckt sich dieses Verfahren etwa über das erste Halbjahr, in diesem Jahr bis Anfang Juni. Manchmal wählt nur ein Staat, manchmal mehrere zeitgleich. Bekannt ist der Super Tuesday, der heuer auf den 5. März fiel. An diesem Tag wird in 15 Staaten gewählt.

In einem so großen Land wie den USA ist es wenig verwunderlich, dass sich unterschiedliche Procedere herausgebildet haben, wie eine Vorwahl abläuft. Diese werden hin und wieder auch verändert. Im Großen und Ganzen haben viele Staaten ihre historisch gewachsenen Abläufe aber bewahrt.

Es gibt zwei Grundformen. Eine richtet die Partei aus, eine der Staat. Sie nennen sich Caucus in der Parteivariante, und Primary in der Staatsvariante. Es gibt deutlich mehr Primaries, weil die Kosten hierfür eben auch der Bundesstaat übernimmt. Manchmal muss man eben auch pragmatisch sein. Wenn die Partei einen Caucus ausrichtet, legt sie natürlich Wert darauf, dass auch nur ihre Wähler wirklich abstimmen dürfen. Man muss deshalb registriert sein, um daran teilnehmen zu können.

Bei Primaries gibt es zwei Varianten. Entweder man muss wie bei den Caucuses registriert sein oder es können sogar alle Wahlberechtigten abstimmen. Gewählt wird nun aber nicht der eigentliche Kandidat, sondern ein Delegierter, der jedoch für einen bestimmten Kandidaten steht. Alle Delegierten wählen dann auf den jeweiligen Nominierungsparteitagen der beiden Parteien den eigentlichen Kandidaten.

Dieser Zwischenschritt ist formal vergleichbar mit dem Procedere des eigentlichen Wahltages. Streng genommen wählen auch die Bürger am 5. November nicht Biden oder Trump, sondern Wahlmänner für das Electoral College. Dieses tritt dann 41 Tage nach dem Wahltag zusammen und wählt formal den Präsidenten. Da aber mittlerweile auf den Stimmzetteln sowohl der Vorwahlen als auch am Wahltag selbst die Namen der Kandidaten stehen – dies war nicht immer so – und nicht oder nicht nur die der Delegierten oder Wahlmänner, werden diese Zwischenschritte mittlerweile weitgehend als überflüssig empfunden. Und natürlich wartet am 5. oder eher am 6. November, wenn die Ergebnisse dann stabil vorliegen, niemand auf die Abstimmung der Wahlmänner.

So, noch einmal zurück zu den Vorwahlen, aber jetzt nicht zu den systemtheoretischen Besonderheiten, sondern zum aktuellen Stand der Dinge bei beiden Parteien. Gerade habe ich gesagt, die Vorwahlen enden mit oder in den letzten Staaten Mitte Juni. Dennoch stehen mit Trump und Biden bereits heute die Sieger der Vorwahlen fest.

Dies liegt einfach daran, dass sich bereits früh, meistens mit dem Super Tuesday, der spätere Sieger abzeichnet. Viele noch im Rennen stehende Bewerber beenden dann ihre Kandidatur. Zum einen, weil sie kaum noch Aussicht auf den Sieg haben, zum anderen natürlich auch, weil ein weiterer Verbleib im Rennen sehr hohe Wahlkampfmittel erfordert, die Spendenbereitschaft für hintenliegende Kandidaten jedoch sehr schnell absinkt. In beiden Parteien sind nun bis auf Trump und Biden alle anderen Kandidaten ausgestiegen. Die Sieger der Vorwahlen stehen fest.

Wir kennen sehr gut die politischen Systeme Europas mit ihren Vielparteien-Parlamenten und Regierungen, die ebenfalls aus mehreren Parteien bestehen. Nun sehen wir in den USA, mit seinen gewaltigen geografischen Ausmaßen und seinen heterogenen Bevölkerungsgruppen, nur zwei Parteien. Wie kann da das Spektrum einer modernen pluralistischen Gesellschaft abgedeckt werden?

Bei uns werden ja Parteien eher als organisierte weltanschaulich homogene Interessenvertretungen verstanden. Und zumindest in den letzten Jahren oder Jahrzehnten hat eine Entwicklung eingesetzt, der zufolge sich so mancher berufen fühlte zu erkennen, dass die bestehenden Parteien seine Art der Weltanschauung oder die einer Gruppe, deren Interessen er zu vertreten vorgab, nicht ausreichend repräsentiert. Also wurden stetig neue Parteien gegründet.

Noch in unserer Jugend waren ja die Parlamente bei uns auch eher durch drei Parteien geprägt, eine Situation, die sich zu jener der USA also nicht so diametral unterschied. Heute – und Sie haben dies ja eben erwähnt – ist dies alles vielzähliger und damit auch kleinteiliger geworden. Auch wenn es nur ein kleiner Teil der existierenden Parteien in die Parlamente schafft, so wird uns demnächst wieder auf dem Stimmzettel zur Europawahl die Vielfalt unserer Parteienlandschaft vor Augen geführt.

Natürlich gibt es auch in den USA eine ähnliche Breite an Weltanschauungen, Interessen oder soziale Bewegungen. Aber eben nur zwei Parteien. Da Neugründungen von Parteien natürlich zwar möglich sind, aber sich diese Parteien aus den bereits genannten Gründen durch das Mehrheitswahlrecht nicht etablieren können, bleibt nichts anderes übrig, als dass sich solche neuen Strömungen in eine der beiden Parteien integrieren. Sowohl die Demokraten als auch die Republikaner sind deshalb programmatisch breiter aufgestellt als selbst unsere großen Volksparteien. Das, was man bei uns Parteifügel nennt, also ideologisch zumindest halbwegs einheitliche Teile der Partei, gibt es da natürlich auch und nennt sich factions.

Die Demokraten sind so zumindest zweigeteilt in die Moderaten und die Progressiven. Und die wiederum teilen sich weiter auf, und es fehlt nicht an Versuchen von Kollegen oder Journalisten, diese zu definieren und zu benennen. Besonders ehrgeizige Systematisierungen weisen dann 10 oder noch mehr Parteisegmente auf, die Namen wie The Centrist Firebrands tragen, was unserem besseren Verständnis aber auch nicht dient.

Auf der Seite der Republikaner gibt es natürlich vergleichbar mannigfaltige Parteiflügel und Segmentierungen. Erwähnen will ich hier wenigstens die Konservativen, die christliche Rechte und die Trumpists. Während die letzte Bezeichung eher für parlamentarische Gruppen der Trump-Anhänger benutzt wird, ist sie auf Ebene der Parteianhänger als MAGA-Bewegung bekannt (Make Amerika Great Again).

Diese mehr oder weniger sinnvollen Systematisierungsversuche der beiden Parteien dürfen natürlich keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass das amerikanische System sehr viel stärker integrierende und auch ausgewogenere Politikcharaktere bedingt als dies bei uns der Fall ist. Dies gilt um so mehr für das Präsidentenamt mit seiner für unsere Verhältnisse nahezu unfassbaren Machtfülle. Deshalb stehen auch sehr viel mehr persönliche oder charakterliche Eigenschaften der Kandidaten im Mittelpunkt des Wahlkampfes, als dies bei uns der Fall ist.

Eine monoton vorgetragene Rede mit mehr oder minder programmatisch klingenden Aussagen im Stile unseres Bundeskanzlers wäre in den USA ein recht sicherer Indikator für eine Wahlniederlage. Der Kandidat muss vielmehr unter Beweis stellen, dass er mit all den Facetten seiner Persönlichkeit geeignet ist, die Nation zu führen. Überspitzt könnte man sagen, in der US-Politik steht die Vertrauenswürdigkeit des Kandidaten im Zentrum der Wählerbeobachtung und -bewertung, während dies bei uns eher inhaltliche Positionen sind.

Die geringere Bedeutung der programmatischen Anschauungen in den USA liegt dabei sicher auch in den zwangsläufig sehr breiten ideologischen Spannweiten der beiden Parteien begründet. Nicht jedem Präsidenten ist es in der Vergangenheit gelungen, das Vertrauen seiner Wähler zu rechtfertigen und mit seiner Politikgestaltung die Einzelströmungen seiner eigenen, geschweige denn die der Konkurrenzpartei ausgleichend und ausgewogen zu berücksichtigen. Es gibt dadurch natürlich auch berechtigte Kritik an diesem System. Nicht wenige Bevölkerungsgruppen oder Minderheiten ziehen sich in eine politische Resignation zurück, weil sie den Establishment nicht einmal den Versuch zutrauen, Ihre Interessen zu vertreten oder gar durchzusetzen.

Sie hatten mich ja in einem Vorgespräch gefragt, ob ich zum Zwecke der Anschaulichkeit die deutschen Parteien irgendwie den beiden US-Parteien zuordnen könne und meine Antwort, dass ich diese Aufgabe als Politikwissenschaftler nicht mal mit der Beißzange anfassen würde, hat Sie nicht zufriedengestellt. Nun, ich möchte mich Ihrem Charme beugen und unter lautstarkem Hinweis auf die methodisch vollkommene Unzulänglichkeit dieses Versuches folgende Grobzuordnung treffen. Die SPD sowie alle links von ihr stehenden Parteien, etwa die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht würde man den Demokraten zuordnen, ebenso die Grünen und Teile der FDP. Die CDU wäre vor 20 Jahren eher vollständig bei den Republikanern zu verorten gewesen, heute würde ich sie hälftig aufteilen. Die AfD und die Werteunion tragen eher rein republikanischen Charakter.

Was sind – unabhängig von den Kandidaten- die politischen Themen, die die Amerikaner am meisten beschäftigen, und die somit wahlentscheidend sein können?

Die Themen, die die US-Bürger am meisten beschäftigen, sind interessanterweise jenen in Deutschland und Österreich sehr ähnlich.

Laut Umfrage-Ergebnissen liegen an erster Stelle die Folgen der illegalen Einwanderung und Migration. Dies wird von etwa einem Viertel der US-Bürger als unzureichend bestelltes Politikfeld gesehen und könnte wahlentscheidend sein.

An zweiter Stelle wird eine generelle Unzufriedenheit mit der Regierung genannt, meist ausgedrückt durch niedrige Zustimmungswerte für Präsident Biden. Danach folgt die als schlecht empfundene persönliche und nationsweite wirtschaftliche Lage sowie gegenwärtig die hohen Lebenshaltungskosten und Inflationsraten.

Biden steht beim Thema Einwanderung, wie bereits erwähnt, vor einer kaum zu lösenden Herausforderung. Umso mehr ist er bemüht, seine Erfolge bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes hervorzuheben. Hier kann er vielleicht noch etwas punkten, wenn die tatsächliche Entwicklung der US-Wirtschaft dies rechtfertigt. Die beiden seitens der befragten Wahlberechtigten als wichtigste politische Probleme eingestuften Schwachstellen der Regierungspolitik erhöhen eher die Wahlchancen für Trump.

Man hört oft, dass die Kandidaten sehr viel Geld in ihren Wahlkampf investieren. Um welche Beträge geht es da, und wer finanziert das? Wenn es große private Spenden sind, besteht dann nicht das Risiko einer unzulässigen Einflussnahme?

Geld und Reichtum spielen in der US-amerikanischen Politik eine ungleich größere Rolle als hierzulande. Nur wenn man über entsprechende finanzielle Ressourcen verfügt, kann man sich aussichtsreich um exponierte politische Funktionen bewerben.

Das ist natürlich keine formale Voraussetzung. Es ist vielmehr den aufwändigen Kampagnen geschuldet, die die Kandidaten im Wahlkampf betreiben. Und das ist natürlich ein sich ständig selbstverstärkender Effekt. Weil mehr Geld schlußendlich bessere Wahlchancen ermöglicht, wird eben mehr investiert – von denen, die dazu in der Lage sind. Das führt zu für uns nahezu unglaublichen Effekten.

So besteht etwa die Hälfte der Mitglieder des Kongresses, also des Senates und des Repräsentantenhauses, mithin der Legislative der USA, aus Millionären.

Eine abnehmende Entwicklung ist auch nicht zu erwarten, eher im Gegenteil. Ich gehe davon aus, dass sich der Anteil der US-Abgeordneten, die der finanziellen Oberschicht des Landes angehören, durch eine Art Selbstrekrutierung weiter erhöht. Dies hat im besten Fall keine Konsequenzen. Es entspricht aber auch und gerade in den USA nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass sich die finanzielle Elite stets und in besonders altruistischer Haltung für die Interessen der Mittel- und Unterschichten einsetzt.

Besonders sichtbar wird die Bedeutung und das Ausmaß der eingesetzten beziehungsweise erforderlichen Finanzmittel natürlich bei den Präsidentschaftswahlen. Bei der letzten Wahl im Jahr 2020 wurden hierfür insgesamt 14 Milliarden US-Dollar ausgegeben. Und es ist nicht davon auszugehen, dass dieser Betrag in diesem Jahr geringer ausfallen wird. Diese Summe bezieht sich auf alle Kandidaten einschließlich der Vorwahlen. Für die beiden finalen Kandidaten lagen die Wahlkampfkosten bei Biden bei ziemlich genau einer Milliarde, Trump konnte etwa 800 Millionen Dollar investieren.

Dabei handelt es sich ausschließlich um privates Kapital. Eine staatliche Parteienfinanzierung wie bei uns gibt es in den USA so gut wie nicht. Es gibt zwar die Möglichkeit einer geringen öffentlichen Unterstützung für Kandidaten in den Vorwahlen, aber in der Praxis spielt dies keine Rolle. Das eingesetzte Geld ist dabei natürlich nur zum verschwindend kleinen Teil Privatkapital der Kandidaten. Das hat nur am Beginn der politischen Karriere eine besondere Bedeutung, wenn Sponsoren und Mäzene noch nicht mobilisiert werden konnten.

Im Präsidentenwahlkampf ist einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren, private Spenden einzuwerben. Neben vielen Kleinspenden geht es dabei auch um das Einwerben von Großspenden der Finanzelite des Landes. Spenden von 100 Millionen Dollar sind dabei keine Seltenheit. Beliebt sind auch Spendengalas, bei denen für symbolische Leistungen astronomische Summen bezahlt werden. Biden etwa veranstaltete kürzlich so ein Event zusammen mit den früheren Präsidenten Obama und Clinton. Interessierte konnten sich mit den drei Persönlichkeiten fotografieren lassen zum Schäppchenpreis von 20.000 Dollar.

Die Spendenhöhe und deren Herkunft muss transparent gemacht werden und ist teilweise auch reguliert. So ist die Höhe der Spenden pro Privatperson begrenzt, nicht aber für juristische Personen. Natürlich kommt da auch regelmäßig Kritik auf. Linke NGOs etwa sehen die USA als eine Plutokratie, also eine politische Herrschaft der Reichen. Aber weder die Demokraten noch die Republikaner sind wirklich bemüht, dieses Finanzierungskonzept substanziell zu verändern.

Welche Rolle spielen die Medien in diesem Wahlkampf? Ist die Medienlandschaft vergleichbar mit jener in Deutschland oder Österreich?

Die Medien als Transporteur von Informationen, von Wahrheiten, Halbwahrheiten und Falschdarstellungen spielen natürlich eine extrem große Rolle. Es gibt zwar auch in den USA, was hierzulande wenig bekannt ist, öffentliche Sender, sowohl Radio- als auch TV-Kanäle, die politische Stimmung wird jedoch nahezu völlig von den großen privaten Anbietern geprägt.

Die private Medienlandschaft ist dabei völlig polarisiert. Was die Reichtweiten anbelangt, dominieren dabei Medienunternehmen, die sich klar links beziehungsweise zugunsten der Demokraten positionieren. Dies gilt etwa für das auch bei uns bekannte CNN oder ABC. Eindeutig pro-republikanische Sender gibt es natürlich auch, etwa die Fox-Mediengruppe.

Dieses klare politische Bekenntnis zu einer der beiden US-Parteien ist typisch für nahezu alle Medien, also für das Fernsehen und vor allem auch für die Presse, also Print- und Online-Zeitungen. Wirklich neutrale Berichterstattungen finden sich sehr selten, und wenn, dann am ehesten online.

Durch das Verschwinden sehr vieler regionaler Traditionszeitungen ist das Mediengeschäft in den USA auch zunehmenden Monopol- oder zumindest Duopol-Tendenzen unterworfen. Dies gilt vielleicht noch nicht für die tatsächliche Anzahl der Anbieter, wie etwa im Kabelnetz, wohl aber für die tatsächlich politisch einflussreichen Hauptmedien. Auch für den neutralen Beobachter ist dabei die mehrheitlich Biden beziehungsweise den Demokraten zugewandte Ausrichtung der Hauptmedien nicht zu übersehen.

Dies ist natürlich insbesondere dem rechten Flügel der Republikaner, der MAGA-Bewegung (Make America Great Again), ein ständiger Dorn im Auge. So ist es auch undenkbar, dass Trump einen öffentlichen Auftritt absolviert, ohne die aus seiner Sicht unehrlich, ja verlogen agierenden Medien als fake news zu bezeichnen.

Mittlerweile ist es zu einem humorvollen Ritual geworden, wenn Trump Journalisten oder Kameraleute dieser Medien persönlich begrüßt und beschimpft, selbst wenn diese gar nicht anwesend sind. Dies alles sehr zur Freude seiner Anhänger.

In letzer Zeit zeichnet sich auch eine Art Gegenbewegung ab. Es entstehen neue, oft als Online-Medien ausgerichtete explizit Trump-nahe Medien, etwa Breitbart News oder OAN. Diese Angebote richten sich naturgemäß, genauso wie klar links orientierte Medien, an ein streng abgrenzbares Publikum mit homogener Weltanschauung.

Und das ist für mich der bestehende Hauptunterschied der Medienlandschaft der USA zu jener in Deutschland oder Österreich. In den Staaten versorgen sich noch mehr politisch Interessierte ausschließlich in den ihnen politisch-weltanschaulich nahestehenden Medien. Ein Diskurs ist weder angelegt noch zunehmend möglich. Diese Entwicklung können wir auch in Deutschland und Östereich wahrnehmen. Für Demokratien, die im Kern auf das Finden von Kompromissen der unterschiedlichen politischen Lager ausgerichtet sind, ist dieser Diskursabbruch eine große Herausforderung.

Wofür stehen Trump und Biden? Können Sie hier vielleicht eine Einordnung im Wertespektrum vornehmen? Und welche Wählerschaft beziehungsweise Kernzielgruppe sprechen die Kandidaten jeweils an?

Zunächst muss man sagen, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen dem, wofür die Kandidaten stehen und dem, was ihnen jeweils seitens der Konkurrenzpartei sowie der Medien unterstellt wird. Beide letztgenannten Akteure haben ein ausgeprägtes Interesse, den eigenen Kandidaten als Vertreter einer auf die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ausgerichtete Politik darzustellen, den Opponenten aber in eine inhaltlich abseitige Ecke zu stellen.

Zu Ihrer Frage: Biden selbst ist ja kein Charismatiker. Es entspricht nicht so sehr seiner Persönlichkeitsstruktur, wirklich eigene Akzente zu setzen, zumindest nicht in solchem Ausmaß, wie dies anderen Präsidenten in der Vergangenheit gelungen ist. Er ist eher ein Umsetzer. Der Position der Demokraten folgend ist er eher international ausgerichtet, setzt auf Multilateralismus, also auf Bündnisse Wert- und Ideologie-kompatibler Staaten.

Mittels dieser Kooperationen sollen die Herausforderungen der Gegenwart durch Transformation, also einer fundamentalen Umstrukturierung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Grundordnungen gemeinsam bewältigt werden. Als Herausforderungen gelten dabei die Eindämmung und Abkopplung von den strategischen Konkurrenten China und Russland, der Klimawandel und auch Pandemien.

Innenpolitisch versteht Biden den Staat als hauptverantworlich für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und ist somit ein Verfechter von massiven Konjunktur- und Infrastrukturprogrammen. Er steht auch für eine stark regulative Steuerung des Wirtschaftssektors und des Arbeitsmarktes. Bei gesellschaftlichen Themen steht Biden für liberale Einwanderungspolitik und eine stärkere Diversität. Alles in allem könnte man sagen, die Themenpriorität Bidens entspricht etwa der einer rot-grünen Position, um dies in unsere Parteienlandschaft zu übertragen. Auch die Zielgruppe lässt sich mit diesem Vergleich recht gut beschreiben.

Trump verkörpert eher eine emotionale Impulsivität. Er ist durchaus in der Lage, zumindest sein eigenes Lager für seine Politikausrichtung zu begeistern. Den multilateralen Konzepten Bidens stellt er dabei sein America first entgegen, setzt also eher auf die Problemlösekompetenz der demokratisch legitimierten US-Regierung und der nachgeordneten Behörden als auf internationale Einrichtungen wie der UN, der WHO oder auch der NATO.

Den Problemen der Gegenwart setzt Trump in seinem Modell eine Politik der Stärke entgegen, also keine systematische Transformation, sondern eher die punktuelle Anwendung machtpolitischer Mittel. Er steht eher für deregulative Maßnahmen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Einwanderung bzw. Migration sind eines seiner höchstpriorisierten Handlungsfelder. Hier will er eine starke Reduzierung erreichen und hierfür umfangreiche Grenzsicherungsmaßnahmen ergreifen.

Alles in allem könnte man sagen, die politischen Positionen Trumps wären vergleichbar etwa mit der einer Union-FDP-Position, jedoch einer Union alten Zuschnitts. Heutigen deutschen Parteiprofilen würde Trump wohl am ehesten entsprechen, wenn man die Werteunion, die AfD und die FDP kreuzen würde.

Durch die Nennung dieser eher kleineren Parteien soll aber nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass die Zielgruppe Trumps nur ein grössenmäßig untergeordnetes Segment der amerikanischen Gesellschaft wäre, also etwa, wie oft kolportiert wird, die Bevölkerungsschicht der eher ungebildeten Weißen. Die Umfragewerte Trumps zeigen, dass er aktuell etwas mehr als die Hälfte der Wähler für sich gewinnen könnte. Das oft gezeichnete Bild des Trump-Wählers als ungehobelten weißen Bewohner ländlicher Regionen ist also eine Mär.

In den ersten Monaten seiner Amtszeit konnte Joe Biden in den Umfragen sehr hohe Zustimmungswerte erzielen. Es schien eine regelrechte Euphorie nach Trumps Abwahl zu herrschen. Wenn Trump derzeit als Favorit gilt, muss Biden ja entsprechend in der Wählergunst verloren haben. Was waren die Gründe dafür?

Grundsätzlich ist es in den USA so, dass sehr viel häufiger als bei uns nur die Zustimmung oder eben auch Ablehnung zum Präsidenten abgefragt wird. Das wird als Job Approval oder Approval Rating bezeichnet. Dieser Indikator entspricht seiner starken Stellung im Regierungssystem der USA, während bei uns ja eher die Messung der Zustimmung für jeden Minister oder auch für jede Koalitionspartei im Zentrum steht.

Biden ist hier mit einem guten, aber keineswegs exorbitant hohen Zustimmungswert gestartet. Etwa 55% haben ihm zugestimmt, nur 35% standen ihm ablehnend gegenüber. Das muss man natürlich im Kontext der Relevanz von nur zwei Parteien in den USA sehen, die zudem über weite Strecken betrachtet in etwa gleich groß sind. Der Startwert von 35%, der ihm anfangs kritisch gegenüberstand, rekrutiert sich natürlich ganz überwiegend aus den Reihen der Republikaner.

Daran erkennt man, dass es insbesondere ein Einbruch der Trump-Partei war, der zu diesem Bild beigetragen hat und nicht eine genuin vorhandene Biden-Euphorie. Das wurde dennoch so dargestellt und insofern haben Sie recht, wenn Sie diesen Begriff verwenden. Häufig wird nämlich, zumindest wenn es sich um eine nicht sehr ausgewogene Berichterstattung handelt, nur der Differenzwert dargestellt. Also die 20 Prozentpunkte als Differenz der genannten Zustimmungs- und Ablehnungswerte. Und dieser Wert ist in der Tat sehr hoch und wird nur selten erreicht. Das wurde dann zumindest in den Medien, die Biden zugeneigt sind, als persönlicher Rekordwert eines Präsidenten apostrophiert.

Wie gesagt, es lag aber nicht an der hohen Zustimmung für Biden, die war mit 55% für einen gerade gewählten Präsidenten ja nur knapp oberhalb der 50%-Marke, die in einem Zweiparteiensystem natürlich für einen Gewinn der Wahl notwendig ist. Es lag eindeutig an einer Schwächephase der Republikaner.

Bereits nach etwa einem Jahr erfolgte der Turnarround, die Höhe der Zu- und Abstimmung war also gleich, der Differenzwert damit null. Das bedeutet aber auch, dass bereits nach einem Jahr von Bidens Präsidentschaft die Zustimmung für ihn um etwa 10 Prozentpunkte gefallen war. Seither lag die Ablehnungsquote stets über jener der Zustimmung, der Differenzwert war somit negativ und beträgt aktuell etwa minus 15.

Die Ablehnung, die sich eher aus dem republikanischen Lager speist, liegt bei etwa 55%. Sie sehen daran zweierlei: Erstens hat sich für Biden die politische Stimmungslage vollständig gedreht. Und man kann daraus eine erstaunliche umfassende und vor allem auch erstaunlich schnelle Erholung der Republikaner ablesen.

Sie haben ja bereits von der sinkenden Zustimmung der Bevölkerung gegenüber Biden gesprochen. Gibt es hier Bevölkerungsgruppen, in welchen er signifikant mehr verloren hat als in der Gesamtbevölkerung?

Besonders stark sind seine Zustimmungswerte, man kann das durchaus auch konkreter als Wahlchancen bezeichnen, bei jungen Menschen quer über alle Bevölkerungsgruppen gefallen. Man kann annehmen, dass dafür die relativ schlechten wirtschaftlichen Perspektiven ausschlaggebend sind.

Solche Einbrüche oder Phasen einer Stagnation oder hohen Inflation kommen natürlich immer wieder mal vor. In der Frage der politischen Präferenz wirken sie aber überproportional bei Menschen, deren weltanschaulichen Ansichten noch nicht so stark gefestigt sind. Dies trifft auf weite Teile der jungen Wähler zu.

Im Hinblick auf ethnische Gruppen verliert Biden derzeit besonders stark in der schwarzen Bevölkerung und bei den Arabisch-Amerikanern bzw. Muslimen. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich. Bei der schwarzen Bevölkerung findet sich eher ein Gefühl der generellen Enttäuschung, hat Biden doch aktiv – um nicht zu sagen aggressiv – innerhalb dieser Gruppe um Zustimmung geworben, konnte aber die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen.

Eine ähnliche Tendenz mit den gleichen Ursachenmustern findet sich auch bei den Latinos, wenn auch in abgeschwächter Form. Bei den arabischstämmigen Wählern liegt die Ursache natürlich im aktuellen Nahost-Konflikt. Biden verliert hier besonders in antizionistischen Kreisen an Unterstützung.

Wenn ich mir die Auftritte von Donald Trump ansehe, habe ich den Eindruck, dass seine Unterstützer und Wähler massiv hinter ihm stehen. Was macht Donald Trump bei seiner Wählerschicht so beliebt? Was ist es, was diese Begeisterung bei den Menschen hervorruft?

Da finden sich natürlich viele Gründe wieder, die bereits seine erste Wahl ermöglichten. Also etwa, dass er sich ganz gezielt nicht als Teil des politischen Establishments charakterisiert, und Biden als Personifizierung dieses Establishments darstellt, das er als korrupt, als nur die eigenen Interessen verfolgend darstellt.

Das alles macht er mit einer durchaus bühnenreifen Performance. Diese Auftritte, die sogenannten „rallies“, sind ja perfekt orchestrierte Veranstaltungen. Sie finden meist am Rande von Ballungszentren oder größeren Städten in ländlichen Regionen statt, durchaus auch im Freien und gerne neben Flugplätzen. Für seine Anhänger hat dies eine Art Volksfestcharakter.

Bereits die Anfahrt wird zum Ereignis, die natürlich der amerikanischen Fortbewegungskultur entsprechend mit dem Auto, bevorzugt mit SUV, erfolgt. Diese Fahrzeuge werden dann mit riesigen USA-Flaggen ausstaffiert , ähnlich wie auch seine Anhänger selbst in teils skurrilen Verkleidungen erscheinen. Trump selbst ist in allen Variationen auf Stickern, T-Shirts, Jacken abgebildet.

Trump fliegt dann entweder mit seinem riesigen Privatflugzeug ein, das gerne sichtbar im Blickfeld der Veranstaltungsbühnen steht, oder erscheint in einer langen Autokolonne aus polizeilichtblinkenden SUVs. Er wird ja weiterhin vom FBI geschützt, und solche Inszenierungen verstärken den Personenkult um ihn noch weiter.

Wenn er dann die Bühne betritt, unter lauter Rockmusik, hat dies nahezu religiöse Züge. Viele Anhänger flippen wirklich richtiggehend aus. Die Reden selbst setzen eher auf berechnende Wirkung als auf Aktualität oder Originalität. Sie werden nur selten, und wenn, dann nur in Teilen verändert. Trump stützt sich dennoch auf zwei oder drei fast unsichtbare Teleprompter. Das erweckt den Eindruck, er spreche völlig frei und pointensicher.

Inhaltlich konzentriert er sich auf die Themen, die auch aus Sicht seiner Anhänger die größten politischen Defizite der Gegenwart darstellen: korrupte Politiker, Mißachtung nationaler und familiärer Werte, eine feindlich gesinnte Medienlandschaft und auch Justiz.

Hinter Trump, also von den Kameras gut erfasst – diese Auftritte werden ja im Internet live übertragen – werden sorgfältig ausgesuchte Anhänger mit vielen Flaggen und Parolenschildern drapiert, die immer auch die ethnische Vielfalt der USA widerspiegeln. Damit wirbt er auf subtile Weise auch in Minderheitsgruppierungen, die bisher eher Biden zugeneigt waren. Auch das Ende der Veranstaltung ist immer gleich. Nach dem gemeinsam intonierten Spruch Make America Great Again entschwindet Trump wieder unter lauter Rockmusik, erst in einem Menschenbad und dann umringt von Bodyguards, wieder hinter der Bühne.

Er lässt seine euphorisierten Anhänger in einer quasireligiösen Stimmung zurück. Es steht zu vermuten, dass diese niemals jemanden anderen wählen als Trump, komme, was wolle. Seine Religion wechselt man ja auch nicht oft. Sie sehen, es ist also weniger der politisch-inhaltliche Vortrag, der die Menschen begeistert. Es ist die Gesamtshow einer Gesamtinszenierung der Person Trump.

Sie sagen, seine Auftritte werden vor allem von seiner Kernwählerschaft innerhalb der Republikaner besucht, der MAGA-Bewegung. Kann man dennoch übergreifend sagen, in welchen Bevölkerungsgruppen Trump eher verloren oder zugelegt und warum?

Jetzt könnte man natürlich annehmen, dass Trump insbesondere bei den Wählergruppen punkten kann, bei denen Biden an Zustimmung verloren hat, also den Jungwählern sowie der schwarzen Bevölkerung und den Arabisch-Amerikanern. Dies trifft teilweise zwar zu, es bestehen jedoch noch erhebliche Unsicherheiten, ob nicht insbesondere signifikante Teile der ethnischen Minderheiten vom Biden-Wähler zum Nichtwähler werden. In Summe wird Trump natürlich Zugewinne in diesen Bevölkerungsgruppen erfahren, die jedoch von ihrer Grösse her nicht mit den entsprechenden Verlusten Bidens deckungsgleich sind.

Für eine Antwort auf die wahlentscheidende Frage, wo Trump zulegen kann, muss man drei Jahre zurückgehen. Denn massiv an Zustimmung verloren hat er Anfang 2021 und zwar in breitem Maße über alle demographischen Cluster und sozialen Schichten, mit Einschränkungen natürlich im MAGA-Segment.

Der Grund dafür waren die Ereignisse um das US-Kapitol, das regelrecht gestürmt wurde. Von seinen Gegnern wurde behauptet, dass Trump hierzu seine Anhänger aufgestachelt hätte. Der Grund für diese in Teilen gewalttätige Aktion einiger Aktivisten war letztlich, dass Trump – wie übrigens auch viele seiner Anhänger – behauptet hat, und dies im Übrigen auch weiterhin so vertritt, dass die vorangegangen Wahl zugunsten Bidens gefälscht worden wäre. Auch dieser Fälschungsvorwurf selbst, der nie bewiesen werden konnte, trug zu einer Abwendung gemässigter Teile der Republikaner zumindest von der Person Trump, teilweise auch von der Partei insgesamt bei.

Trump schien zu der Zeit als Politiker vollständig desavouiert zu sein, eine erneute Kandidatur völlig ausgeschlossen. Seither hat sich die Wahrnehmung hierzu in großen Teilen der Bevölkerung verändert. Die Washington Post hat kürzlich eine Umfrage veröffentlicht, nach der ein Viertel aller Amerikaner davon ausgeht, dass die Bundespolizei FBI für den Sturm auf das Kapitol verantwortlich wäre, bei Anhängern der Republikaner sogar ein Drittel. Parallel dazu nahm die Zahl der Amerikaner sukzessive ab, die Trump für die Ereignisse im Kapitol für verantwortlich halten. Waren das kurz nach dem Vorfall im Jahr 2021 noch 52 Prozent, so waren es im darauffolgenden Jahr schon nur noch 43 Prozent.

Aktuelle Werte hierzu gibt es nicht. Aber es dürfte zur Zeit kaum mehr als ein gutes Drittel sein, das Trump damit persönlich in Verbindung bringt. Insofern hat sich die Kampagne der Demokraten, Trump als verantwortlich für diesen als Aufstand deklarierten Vorfall und letztlich als Gefahr für die Demokratie zu stigmatisieren, totgelaufen. Im Gegenteil, es ist Trump gelungen, die Entwicklung umzukehren und sich als Opfer einer Hexenjagd, einer witch hunt, wie er es in jedem Auftritt mehrfach nennt, darzustellen. Betrieben würde diese Hexenjagd von ideologisierten Medien, korrupten Richtern und Staatsanwälten.

Es zeichnet sich derzeit ab, dass diese 2021 verlorenen Teile der ursprünglichen Anhängerschaft in weiten Teilen zurückkehren könnten. Es geht dabei um die eher gebildetere Mittelschicht in den fast schon sprichwörtlichen Vorstädten. Wenn diese wirklich zugunsten einer Trump-Wahl mobilisiert werden kann, ebenso wie andere Teile vormaliger Nichtwähler, werden die sich abzeichnenden Zugewinne bei Jungwählern, Schwarzen und Arabisch-Amerikanern vermutlich für einen Wahlsieg reichen.

Wenn man die Berichte – insbesondere in den sozialen Medien – verfolgt, gewinnt man den Eindruck, es geht ziemlich rund in den USA, was diese Wahl betrifft. Man hört von Affären in der Familie von Biden und von verschiedenen Prozessen gegen Trump. Was steckt da dahinter?

Bei den Bidens geht es vorrangig um Joe Bidens Sohn Hunter Biden, um James Biden, den Bruder von Joe Biden, und natürlich um Joe Biden selbst. Hunter Biden ist eine sehr schillernde Figur, wenn man das so sagen kann. Von Beruf ist er Anwalt. Bekannt wurde er aber eher durch seine Drogenexzesse, seine Vorliebe für Prostituierte und seine beruflichen Aktivitäten, die wesentlich darauf beruhten, ausländischen Unternehmen zumindest vorzugauklen, dass diese über ihn Zugang zu seinem Vater finden könnten. Aber auch Verfahren wegen unerlaubtem Waffenbesitz und Steuerhinterziehung laufen aktuell gegen ihn.

Großes Interesse, besonders in republikanischen Medien, fanden Fotos und Dokumente, die auf einem Notebook gefunden wurden, das unzweifelhaft Hunter Biden gehört hatte. Darauf waren viele kompromittierende Aufnahmen von ihm mit sehr jungen Frauen in einschlägigen Posen oder auch Belege über Finanztransaktionen zu finden, die auch seinen Vater stärker in das Zentrum der Affäre rückten.

Im Kern wirft ihm die rechte Medienlandschaft vor, dass Joe Biden, in den Unterlagen angeblich als Big Guy bezeichnet, anteilig an den eher dubiosen Geschäften seines Sohnes beteiligt war. In diesem Zusammenhang tauchte auch der Bruder Joe Bidens, James auf. Er war zumindest Empfänger höherer Zahlungen, denen bisher keine entsprechende Leistungserbringung zugeordnet werden konnte. Die Echtheit der Dateien von Hunter Bidens Notebook konnte noch nicht zweifelsfrei geklärt werden.

Das demokratische Lager um Joe Biden argumentiert, dass diese Daten vom russischen Geheimdienst gefälscht worden wären. Diese Argumentation stösst aber nicht in allen Bevölkerungsgruppen auf breite Glaubwürdigkeit. Dies auch deshalb, weil es durchaus erwiesene Aktivitäten Hunter Bidens gab, deren moralische Einwandfreiheit selbst bei wohlmeinenden Demokraten angezweifelt wird.

Die Geschichte reicht weit zurück bis vor etwa zehn Jahren, als Joe Biden als Vizepräsident von Obama zugleich als Beauftragter für die Ukraine eingesetzt wurde. Kurz nach der Einsetzung Joe Bidens, etwa drei Monate nach der Maidan-Revolution, wurde Hunter Biden Vorstand in einem ukrainischen Energiekonzern namens Burisma. Hunter, der bis dahin nicht durch eine besondere Expertise in energiewirtschaftlichen Fragen aufgefallen war, erhielt dafür über mehrere Jahre etwa 50.000 Dollar im Monat. Das ist alles völlig zweifelsfrei dokumentiert.

Etwa vor zwei Jahren wurden zudem Vorwürfe bekannt, dass Joe und Hunter Biden Burisma zur Zahlung von jeweils fünf Millionen Dollar genötigt hätten. Dieser Vorwurf ist bisher unbelegt.

Insgesamt jedoch hat auch Joe Biden durch diese Anschuldigungen erheblich an moralischer Glaubwürdigkeit verloren. Trump nennt die Biden-Familie regelmäßig korrupt und kriminell und findet dabei nicht nur in seiner MAGA-Bewegung durchaus Zustimmung.

Trump war und ist immer noch Angeklagter in mehreren Prozessen, auch wenn er einige davon bereits erfolgreich abwehren konnte. Diese Prozesse sind sowohl zivil- und strafrechtlicher wie auch staatsrechtlicher Natur. So ist er gegenwärtig angeklagt, weil er angeblich seine Immobilien gegenüber Banken bei Kreditanträgen zu hoch bewertet habe und ihm dadurch ihm nicht zustehende Zinsvergünstigungen zugekommen wären.

In diesem wie in vergleichbaren Prozessen handelte es sich bei den zuständigen Staatsanwälten und Richtern um Personen, die den Demokraten sehr nahe stehen. Dies ist auch nicht völlig verwunderlich, weil das US-Justizsystem sehr viel stärker politisiert ist als hierzulande.

In diesem Verfahren wegen Immobilienfalschbewertung wurde er vor einigen Monaten zur Hinterlegung einer Sicherheitsleistung von 500 Millionen Dollar verurteilt, andernfalls würden seine Immobilien beschlagnahmt werden. Er hatte damals auch eingestanden, dass er diese Summe nicht fristgemäß aufbringen könne. Das Verfahren war erkennbar dahingehend ausgerichtet, seine Reputation als Unternehmer zu zerstören und eine schlagzeilenträchtige Beschlagnahmung, etwa seines Trump-Towers, zu generieren. Mittlerweile hat Trump in einer Revisionsverhandlung die Zahlung auf 150 Millionen Dollar reduzieren können. Er hat diese Summe hinterlegt, sodass ihm keine unmittelbaren juristischen Konsequenzen in dieser Sache drohen.

Ebenso von Richtern, die den Demokraten nahestehen, wurde Trump von der Teilnahme an Vorwahlen in bestimmten Bundesstaaten ausgeschlossen. Die Begründung war, dass auf Basis eines Gesetzes aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges Personen, die an Aufständen teilgenommen hatten, von der Kandidatur zu hohen Staatsämtern ausgeschlossen werden können. Als Aufstand deklarierte man die Stürmung des Kapitols, als verantwortlichen Aufständischen Trump, der jedoch für diese angebliche Taten weder angeklagt noch verurteilt worden war. Er zog gegen diesen Ausschluss von den Vorwahlen vor das höchste Gericht der USA, den Supreme Court, und die Ausschlussurteile wurden von diesem gänzlich aufgehoben.

Trump nutzt dies natürlich, um über die Hexenjagd linker Ideologen gegen ihn herzuziehen. Und er bekommt hierfür zunehmend Zustimmung, weil es für jeden halbwegs neutralen Beobachter unverkennbar ist, dass seine erneute Kandidatur unbedingt auf juristischem Weg verhindert werden soll. Seine juristischen Siege sind es aber auch, die ihm in der Wählergunst wieder ansteigende Werte offensichtlich einbringen.

In Berichten, insbesondere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, werden zum Teil sehr düstere Szenarien skizziert, was sich im Rahmen einer erneuten Präsidentschaft Trumps verändern würde. Welche Entwicklungen erwarten Sie für die USA und natürlich auch für uns hier in Europa?

Nun, zunächst empfiehlt es sich sicherlich, die Nachrichtenquelle, aus der man solche pessimistischen Meldungen bezieht, einem politischen Standort-Test zu unterziehen. Man kann nicht davon ausgehen, dass ein dezidiert linkes Medium einem möglichen Machtwechsel von den Demokraten zu den Republikanern, erst recht von Biden zu Trump, entsprechend des eigenen Weltbildes etwas Positives abgewinnen kann.

Versuchen wir es neutral. Trump wird – seinem Slogan Make America Great Again folgend – natürlich die Interessen seines Landes, und zwar so wie er sie versteht, in den Mittelpunkt jeder seiner Entscheidungen stellen. Bei Themen wie Einwanderung, Cancel Culture oder generell linker Bildungspolitik wird er versuchen, einen möglichst umfassenden Politikwechsel herbeizuführen. Das wird in Teilen auch für die Klimaschutzpolitik gelten. In der Wirtschafts- und Handelspolitik wird er wohl versuchen, durch Steuersenkungen und Deregulierung die Wachstumsrate anzukurbeln und Handelsdefizite abzubauen.

Die in den genannten Bereichen erwartbaren Veränderungen werden wir sicher auch bei uns registrieren. Explizit linken Medien und Strömungen wird dies natürlich nicht gefallen, aber die faktischen Auswirkungen werden bei uns überschaubar bleiben.

Etwas anders sieht dies sicher in der Außenpolitik aus. Trump ist ja bekanntlich kein Freund von multilateralen Kooperationen, sondern setzt auf eine machtorientierte Umsetzung der US-Interessen, also eher auf einen Alleingang. Ich denke, dass die USA auch wieder aus internationalen Organisationen austreten werden. Das hat er ja von der Unesco, dem UN-Menschenrechtsrat oder dem Pariser Klimaabkommen bereits auch während seiner ersten Amtszeit vollzogen. Dass er, wie oftmals kolportiert wird, auch aus der Nato austreten wird, halte ich eher für unwahrscheinlich. Aber er wird dies sicher androhen, wenn die europäischen Nato-Mitglieder seiner Meinung nach zu geringe Anstrengungen für Verteidigung und Sicherheit unternehmen. Konkret wird es um die Finanzierung gehen.

Auf diesem Feld sind ja durch den Ukraine-Krieg auch bereits viele europäische Länder auf einen eher expansiven Kurs bei den Rüstungsausgaben umgeschwenkt. Deshalb denke ich, hier wird man eine konsensuale Lösung erzielen können.

Eine der ersten umfassenden Auswirkungen einer möglichen Trump-Amtszeit erwarte ich aber bei der Frage der Finanzierung der Ukraine, sowohl auf militärischen wie auch nichtmilitärischen Feldern. Hier wird Trump die Finanzbeiträge der USA wohl stark kürzen, wenn nicht sogar vollständig streichen und auf die europäische Verantwortung in dieser Frage verweisen.

Der Nato-Generalsekretär Stoltenberg etwa hat kürzlich ein 100 Milliarden Euro schweres Hilfspaket vorgeschlagen. Sozusagen unter Vorwegnahme der erwartbaren Entwicklungen hat er dieses Militärhilfepaket bereits als eine von den von den USA unabhängige Unterstützung deklariert. Ob dies von Seiten der europäischen Nato-Staaten ökonomisch gesehen erbracht werden kann, und ob die politische Akzeptanz hierfür in der Bevölkerung gegeben ist, darf doch angezweifelt werden. Zumal ja auch nichtmilitärische Hilfen noch hinzukämen, etwa im Rahmen der EU. Dadurch könnten sich alleine für Deutschland durchaus weitere dreistellige Milliardenbeträge für Militär-, Humanitär- und Aufbauhilfen ergeben.

Ob Trump die gegenwärtigen Kriege und Konflikte tatsächlich beenden kann, wie er regelmäßig betont, wird sich erweisen. Zumindest im Ukraine-Krieg könnte dies möglicherweise mittelbar eintreten. Durch die angeführte Streichung der US-Hilfen für die Ukraine und vermutlich eine höhere Bereitschaft, Gebietsabtretungen zugunsten Russlands zu akzeptieren, könnte die Ukraine zu einem Verhandlungsfrieden gezwungen sein.

Ich hatte eingangs bereits erwähnt, dass im November ja neben dem Präsidenten auch das Repräsentantenhaus und rund ein Drittel des Senats gewählt werden. Welche Ergebnisse erwarten Sie da, und welche Auswirkungen auf die zukünftige US-Politik würden sich daraus ergeben?

Es ist noch zu früh, um im Hinblick auf die Kongresswahlen schon Trends oder gar mögliche Ergebniskorridore erkennen zu wollen. Der Wahlkampf hat ja noch gar nicht richtig begonnen. Man kann das heute nur allgemein beantworten.

Natürlich ist es der Traum jedes Präsidenten und seiner Partei, in beiden Kammern der Legislative eine Mehrheit zu haben. Das Regieren fällt dann natürlich leichter, und der Präsident kann seine Vorstellungen, seine Programmatik puristischer umsetzen. Solche Konstellationen, also dass die Partei, der der Präsident angehört, sowohl im Senat wie auch im Repräsentantenhaus eine Mehrheit haben, sind aber eher die Ausnahme als die Regel.

Vielen Präsidenten ist es beschieden, dass sie nur eine Halbzeit ihrer Regentschaft mit einer Mehrheit in beiden Kammern ausgestattet sind. Dann findet oftmals bei den Zwischenwahlen, den Midterms, ein Mehrheitswechsel zumindest in einer Kammer statt. So erging es sowohl Trump in seiner Amtszeit als auch aktuell Biden. Bill Clinton hatte während seiner beiden Amtszeiten überwiegend eine Mehrheit in beiden Kammern gegen sich und gilt dennoch – zumindest in den Augen vieler seiner Parteifreunde – durchaus als erfolgreicher Präsident.

Für viele neutrale Beobachter ist es aus demokratietheoretischer Sicht durchaus wünschenswert, wenn die Partei, die den Präsidenten nicht stellt, zumindest in einer der beiden Kammern über eine Mehrheit verfügt. So ist die Opposition auf Bundesebene eben nicht weitgehend ausgeschlossen und kann durchaus eigene Akzente setzen.

Oft wird dann ein Bild gezeichnet, dass die Wähler in ihrer Gesamtheit und Weisheit, sozusagen als eine Art Schwarmintelligenz, einen Gegenpol zum Präsidenten geschaffen haben. Das mag eine schöne Vorstellung sein, ich halte sie aber für sehr künstlich.

Im April 2023 gab Joe Biden seine Kandidatur bekannt. Nun haben wir des öfteren Auftritte von Joe Biden gesehen, die uns über diese weitere Kandidatur etwas staunen liessen. Wie sehen Sie das?

Da erlaube ich mir eine kleine, aber nicht unspektakuläre Außenseitermeinung. Mein Eindruck ist, dass die Parteistrategen der Demokraten bisher mehr mit der Frage beschäftigt waren, Trump als Kandidat zumindest de facto oder besser noch de jure zu verhindern. Nachdem sich aber abzeichnet, dass beides nicht zu erreichen ist, und Trump sogar sehr aussichtsreich im Rennen liegt, auch in den wahlentscheidenden swing states, wird man sich nun wieder stärker der Positionierung des eigenen Kandidaten widmen müssen.

Die Demokraten waren bisher zweifellos sehr erfolgreich darin, die eigenen Reihen geschlossen zu halten. Ernsthafte Kandidaten in den Vorwahlen, die gegen Biden angetreten sind, hat es ja nicht gegeben. Diese hätten sich ja im Sinne des eigenen Wahlkampfes auch gegenüber Biden positionieren müssen und vermutlich seine offensichtlichen Schwächen, also sein Alter mit all seinen unabwendbaren Folgen, thematisiert. Eine solche parteiintern angestoßene öffentliche Diskussion wollte man unter allen Umständen vermeiden. Das wäre natürlich Munition für Trump, und hätte Biden für den Rest seiner Amtszeit als lame duck, als Auslaufmodell dastehen lassen.

Zusätzlich ist mein Eindruck, dass es derzeit keine herausragende demokratische Person gibt, die sich der breiten Wählerschaft unbedingt als Präsident oder zumindest einer aussichtsreichen Kandidatur hierzu sozusagen aufdrängt. Dieses offenkundige Fehlen einer Alternative zu Biden hat sicher auch zum Festhalten an seiner Person beigetragen.

Wenn sich nun weiter abzeichnet, dass die Wahlen möglicherweise verloren wären, wenn etwa in den swing states sich der aktuelle Vorsprung Trumps weiter vergrößert oder zumindest zementiert, wird man an der Frage, ob Biden der richtige Kandidat ist, nicht mehr vorbeikommen. Dies gilt umso mehr, wenn er eventuell auftretende altersbedingte Konzentrationsschwächen oder ähnliche Defizite in der Öffentlichkeit nicht verbergen kann.

Deshalb gehe ich davon aus, dass Biden als Kandidat ersetzt wird.

Das Verfahren könnte so sein, dass auf dem Parteitag der Demokraten, der Democratic National Convention, der gegen Ende August diesen Jahres stattfindet, Biden ersetzt wird. Und zwar vollkommen losgelöst von den Ergebnissen der Vorwahlen. Sollte das so kommen, wird man das nicht stante pede verkünden.

Eine solche sensationelle Nachricht wäre vermutlich kontraproduktiv. Ich denke, dass man das langsam in die Öffentlichkeit bringt, den mutmaßlichen Ersatzkandidaten auch vorher schon präsentiert, um das Schockmomentum zu verringern. Dieser Ersatzmann oder diese Ersatzfrau springt dann heldenhaft ein, weil etwa Ärzte Biden von einer erneuten Präsidentschaft abraten. Wer diese Ersatzperson sein könnte, da rätsel ich natürlich auch noch.

Mit großer Spannung erwarte ich das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten am 5. November 2024. Ich darf mich sehr herzlich für dieses ausgesprochen informative Interview und Ihre Expertise bedanken. Dankeschön.


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