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Bild: GROK

Von der Leyen und ihr ominöser „Plan für die Wiederaufrüstung Europas“.

Viele Jahre hat man sich darauf einstellen können, dass eine massive Aufrüstung Europas kein Thema ist. Die EU, ein Projekt, das ursprünglich auf den Erhalt des Friedens in Europa abzielte, heute nicht nur die Handels- und Niederlassungsfreiheit bietet, sondern uns mittlerweile in verschiedenen Lebensbereichen vieles verbietet und sich dahin bewegt uns alle überwachen zu wollen, wird mehr und mehr kritisiert.
Seit kurzer Zeit wird nun über eine Aufrüstung Europas diskutiert.


Darüber spreche ich mit Politikwissenschaftler @BalderGullveig (X/Twitter).

Gegenwärtig wird in den sozialen Medien der Plan der EU heftig kritisiert, riesige Investitionen insbesondere in die Verteidigung zu tätigen. Der „Plan für die Wiederaufrüstung Europas“ soll bis zu 800 Milliarden Euro umfassen. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat nun das Vorhaben vorgestellt. Besonders in der Kritik stand eine Aussage von der Leyens, die im Original lautet: „We’ll turn private savings into much needed investment.“ Was ist Ihre Meinung hierzu?

Zunächst einmal zu dem Satz selbst, der durch seine etwas schlichte Formulierung auch Missverständnisse hervorgerufen hat. Angedacht zum jetzigen Zeitpunkt ist natürlich nicht wie von vielen Usern befürchtet eine Einziehung oder Konfiszierung. Die Idee ist eher, dieses private Kapital zu mobilisieren für die angedachten Investitionen in die Aufrüstung. Es handelt sich also eher um so etwas wie Anleihen. Kritiker mögen hierfür vielleicht den Begriff Kriegsanleihen benutzen. Eine Enteignung ist es auf alle Fälle nicht.

Heißt das, Sie stehen diesem Plan der EU sogar eher positiv gegenüber?

Nein, das nun ganz und gar nicht. Im Gegenteil, ich sehe dies auf mehreren Ebenen sehr kritisch, zum einen inhaltlich und nicht zuletzt im politischen Sinne mehrfach als systemwidrig.

Das ist jetzt spannend. Was kritisieren Sie daran inhaltlich?

Das Ganze wird ja mit geopolitischen Veränderungen begründet. Gemeint ist damit natürlich in erster Linie eine vermeintliche militärische Bedrohung durch Russland und auch ein möglicher Wegfall der Schutzfunktion der USA für Europa. Beides wird von den politisch Linken wie auch den Transatlantikern der Mitte zu einem Furchtappell aufgebauscht, der unbedingt ein schnelles Handeln nahelegt. Ich bin nicht generell gegen eine Stärkung der militärischen Verteidigungsfähigkeit, aber ich halte den Plan der EU für einen Aktionismus, der zudem eher auf systemische Veränderungen in der EU abzielt. Aber lassen Sie mich mich noch kurz zu den inhaltlichen Vorbehalten ausführen bitte.

Sehr, sehr gerne.

Ich bin kein Militärstratege. Aber wie interessierte Beobachter habe ich in den letzten Kriegen, insbesondere natürlich in der Ukraine, gesehen, dass es hier zu einem technologischen Umbruch kommt, wie dies seit Jahrzehnten nicht der Fall war. Klassische konventionelle Waffengattungen, insbesondere Panzer, verlieren massiv an Bedeutung. Sie sind aufgrund der modernen Drohnen extrem vulnerabel. Nicht umsonst hört man seit Monaten wenig von deutschen Leopards, die als vermeintlicher game changer an die Ukraine geliefert wurden. Ein Großteil wurde durch Drohnen vernichtet. Interessant daran ist neben dieser Tatsache an sich, dass eine solche Drohne ungefähr um den Faktor 1000 günstiger in der Beschaffung ist. Was ich damit sagen will, ist, dass eine Modernisierung der europäischen Streitkräfte nicht dem konventionellen Schema der letzten 100 Jahre folgen kann. Deshalb halte ich die in Rede stehenden Summen für völlig überzogen. Es scheint mir, als wolle die EU die Endphase des Konfliktes mit Russland nutzen, um hier eine riesige zentralisierte Kapitalsammelstelle zu institutionalisieren. Nach den aktuellen Gesprächen der USA mit der Ukraine in Saudi-Arabien zeichnet sich ja hoffentlich ein Waffenstillstand und vermutlich auch ein dauerhaftes Friedensabkommen ab. Dies würde natürlich zu einer Entspannung auch der Beziehungen des Westens mit Russland führen und die gegenwärtige Dämonisierung Russlands kann dann nicht aufrecht erhalten werden. Das wäre natürlich für die EU-Rüstungsapologeten nachteilig. Also versucht man wohl, schnell Fakten zu schaffen.

Sie halten also die 800 Milliarden, die die EU investieren will in die militärischen Aufrüstung, für überzogen. Wie sind denn die Verteidigungshaushalte derzeit ausgestattet in der EU im Vergleich zu Russland?

Russland hat seinen Verteidigungshaushalt in den letzten Jahren knapp verdoppelt auf nun etwa 125 Milliarden US-Dollar im laufenden Jahr. Das ist natürlich insbesondere dem Ukraine-Krieg geschuldet. Deutschland liegt incl. der Beschaffungen aus dem Sondervermögen bei etwa 100 Milliarden Dollar. Die weiteren EU-Staaten steuern noch mal etwa 350 Milliarden Dollar hinzu.

Das heißt, die EU – wohlgemerkt ohne die USA – verfügen über knapp die vierfachen Mittel für Verteidigung im Vergleich zu Russland?

Ja, so ist es. Man kann natürlich einwenden, dass die Beschaffungskosten Russlands im eigenen Land oder auf den relevanten Weltmarktsegmenten niedriger sind. Dennoch sind die Zahlen eindeutig. Ich sehe nicht, wieso die EU – und gerade die EU als supranationale Organisation – weitere 800 Milliarden Euro für die Verteidigung benötigen sollte. Man wird das Geld sicher loswerden, für fragwürdige Projekte wie dies etwa die Wiedereinführung der Wehrpflicht wäre. Eine solche hat in einer hochtechnologisierten Armee keinen Platz. Wenn man sie aus volkspädagogischen Gründen will, ist das etwas anders.

Sie sind also nicht per se gegen eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben, verstehe ich Sie da richtig?

Ja. Es ist ja unbestritten, dass etwa die Bundeswehr mit Ausnahme der KSK-Streitkräfte und der sie unterstützenden Truppen völlig heruntergewirtschaftet ist. Rüstung ist natürlich auch ein Konjunkturmotor und schafft Innovationspotenziale auch für die Privatwirtschaft. Rüstung als Wachstumsmotor ist zwar etwas old school, aber es wirkt. Man sollte dies dann aber natürlich auch nutzen, um von der US-Rüstungsindustrie und deren Knebelverträgen unabhängig zu werden.

Aber Sie sind gegen die zusätzlichen 800 Milliarden Euro, wie sie Frau von der Leyen fordert. Auch aus systemischen Gründen, wie Sie eingangs sagten. Was kann ich hierunter verstehen?

Rüstungsausgaben sind heute aus guten Gründen nationale Ausgaben. Sie sind natürlich im Rahmen der Nato mehr oder weniger gleichgerichtet. Zumindest wird Trump weiter auf eine Erhöhung der Ausgaben der europäischen Nato-Staaten drängen. Die EU hat historisch keine militärischen Aufgaben und dies sollte auch so bleiben. Aber bereits heute ist dies nicht so. Kaum einer weiß, dass die EU mit der EU battlegroup bereits über eigene Truppen verfügt. Diese sind dem Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee der EU unterstellt, ein Name, der mich an die Sowjetunion erinnern und schaudern lässt. Eine weitere Militarisierung der EU ist strikt abzulehnen, etwa auch, weil diese die Neutralität Österreichs untergräbt. Wenn man also private Investitionen für Rüstungszwecke anreizen will, sollte man dies auf nationaler Ebene machen. Für unbedingt notwendig halte ich dies aber nicht.

Ausschlussgründe für den Plan von der Leyens sind aus meiner Sicht neben den genannten Punkten drei systemische Brüche, die sie allerdings bewusst und forciert anstrebt.

Erstens ist Landesverteidigung heute eine nationale Aufgabe, eingebunden bei Mitgliedsstaaten in die Nato oder völlig souverän wie in Österreich. Die Finanzierung der Verteidigung durch die EU im Sinne von der Leyens höhlt die Nationalstaaten weiter aus. Ein Staat ist klassisch durch drei Merkmale definiert: das Staatsvolk, das Staatsgebiet und die Staatsgewalt. Linke Globalisten versuchen nicht von ungefähr, das Staatsvolk als ursprünglich homogene Masse durch ungesteuerte Migration oder die Entwertung der Staatsbürgerschaft quasi aufzulösen. Gleiches gilt für die Staatsgrenzen, die angeblich immer und für alle offen sein müssen. Und Staatsgewalt umfasst natürlich auch die Verteidigungsfähigkeit. Eine Übertragung auf die EU ist nur dann zu begrüßen, wenn man einen zentralisierten Bundesstaat will. Ich will das nicht. Ich will einen Staatenbund oder eine Wirtschaftsunion oder etwas dazwischen. Viele wollen aber die Vereinigten Staaten von Europa und die Zentralisierung der Verteidigungshaushalte und -ressourcen ist hierfür nur ihr Mittel zum Zweck.

Zweitens ist die Haushaltshoheit eine Kernfunktion unserer nationalen Parlamente. Gerade die Auslagerung eines so signifikanten Anteils wie den Verteidigungshaushalt untergräbt diese Regelung. Natürlich auch im Kontext des eben Gesagten. Verschlimmernd kommt hinzu, dass im Gegensatz zu unseren Parlamenten, die ich als Wähler abstrafen kann, wenn ich deren Finanzgebaren nicht goutiere, die EU-Bürokratie, die einen wesentlichen Aufgabenteil der Steuerung und Verwendung der 800 Milliarden Leyen-Euro übernehmen würde, demokratisch gerade nicht legitimiert ist und auch nicht durch Wahlen sanktionierbar. Man sollte sich gut überlegen, ob man derart wichtige Kompetenzen an einen solchen molochartigen Apparat übertragen will.

Und drittens, und das ist für mich fast das wichtigste Argument: der Plan von der Leyens ist nur gesamtschuldnerisch möglich, das heißt, für das Handeln der Black Box EU haften alle Mitgliedsstaaten gemeinsam. Das war lange Zeit ein absolutes Tabu, ein No-Go. Natürlich wird versucht, dies kontinuierlich und klandestin aufzuweichen und das aktuelle Vorhaben darf durchaus in dieser unheilvollen Tradition gesehen werden.

Ich darf mich sehr herzlich für dieses ausgesprochen informative Interview und Ihre Expertise bedanken. Und weil ich weiss, dass @BalderGullveig ein Bierkenner und Genießer desselben ist, sage ich: Prost. Nach diesem Interview ist es Zeit für ein Bier, also mindestens eines.


Wer gerne mehr von meinem Gesprächspartner lesen oder sich mit ihm austauschen möchte, findet ihn auf der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter): @BalderGullveig

Weitere Interviews und Kommentare mit @BalderGullveig finden Sie hier:

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. C. Schwenniger

    Sensationelles Interview! Danke!

    Mir steht der Mund offen vor Fassungslosigkeit über den schamlos frechen Aktivismus der Demokratiezerstörer in Brüssel!

  2. Eva Maria Kranz

    Birgit,danke. Den es ist einfach nur noch peinlich, diese dreier Koalition angebliche Regierung ist ein verlogener Haufen. Möchte gerne wissen was diese (entschuldige den Ausdruck) rosa Zicke für Anleihen hat das sie so auf Krieg aus ist. 1.) Russland ist erst einmarschiert nachdem Biden und der geheim Dienst der Ukraine die Pipeline gesprengt haben. Nur so nebenbei vergessen alle 2014 wo dieser Komödiant und Schauspieler (der Lehrer) Selensky die russische Minderheits Bevölkerung abschlachten ließ. Sie dürfen nicht russisch sprechen,keine ihres Glaubens angebrachte Kirche bauen, sich mit dem ukrainischen Volke körperlich mischen und ihre Traditionen dürfen sie auch nicht feiern. Ach da sagen unsere links linken nichts dazu. Ich weiß auch das Corona von der EU als zweiter Test zur Spaltung der Bevölkerung und die Impfung die Übersterblichkeit en auslöste. Sie sind einfach nur eine Diktatur. Van der Bellen und SPÖ ÖVP Neos und diese Grünlinge, kriechende und schleimende Lemminge dieser EU Diktatur sind.

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