Die Schnell-Analyse von Politikwissenschaftler @BalderGullveig.
Donnerstag, 22.8.2024, 19:30 Uhr.
Das Mehrheitswahlsystem der USA hat zur Folge, dass bei Präsidentschaftswahlen stets nur entweder der republikanische oder der demokratische Kandidat Chancen auf einen Sieg aufweist. Dennoch treten weitere Bewerber an, von denen die meisten jedoch vor der eigentlichen Wahlentscheidung aufgeben.
Mit Robert F. Kennedy verlässt nun der letzte Unabhängige das Rennen.
Es verbleiben vorerst auch in den USA weitgehend unbekannte Aspiranten der Green Party sowie der Libertarian Party, deren Verbleib oder Ausstieg für den Verlauf der Entscheidungsfindung unerheblich ist. Bei RFK Jr. ist dem nicht so.
Robert Francis Kennedy ist der Sohn des gleichnamigen Bruders des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy. Er ist somit ein weiterer Abkömmling dieser berühmten US-Dynastie. Mit ihrem Namen sind herausragende politische und unternehmerische Erfolge verknüpft – ebenso wie unauslöschbare tragische Momente der US-Geschichte. RFK Jr. personifiziert diese schicksalsschwere Familienhistorie als Sohn des früheren Justizministers, der als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat ermordet wurde, und als Neffe des ebenfalls ermordeten US-Präsidenten in besonderer Weise.
Seine Persönlichkeit gilt in weiten Teilen der US-Bevölkerung als schillernd bis umstritten. Nicht zuletzt deshalb war ihm die Kandidatur für die Demokraten – anders als seinem Vater und auch Onkel – verbaut. Er erhält je nach Umfrage jedoch Werte im unteren bis mittleren Prozentbereich und die Frage ist nun, wohin diese Stimmen in dem knappen Rennen Harris vs. Trump wandern. Wenn ein Kandidat in den USA aufgibt, aus welchen Gründen auch immer, ist es üblich, dass er seinen Anhängern eine Wahlempfehlung ausspricht. Bei RFK wird diese Empfehlung („endorsement“) zugunsten von Trump ausfallen. In der Regel kann sich dann der so Begünstigte über einen Stimmenzuwachs in Höhe des Anteils des ausscheidenden Bewerbers erfreuen.
Bei RFK Jr. ist dies aus mehreren Gründen nicht so. Betrachten wir zunächst die Anhänger von RFK Jr. näher. Hinter Kennedy steht eine Wählergruppe, die in einer sehr erstaunlichen Weise dem statistischen Durchschnittsamerikaner entspricht. Anders also als bei Harris oder Trump sind etwa bestimmte Ethnien oder Bildungsgrade und Einkommensklassen weder über- noch unterrepräsentiert. Sein Klientel ist allenfalls leicht jünger und – als einzige signifikante Abweichung – überdurchschnittlich oft weiblich.
Das alles mag den Statistiker erfreuen, für einen Wahlkampfstrategen ist dies ein Albtraum, weil es keine abgrenzbare Teilgruppe gibt, die gezielt programmatisch adressierbar wäre. Nun mag man einwenden, etwas müssen die Anhänger von Kennedy doch gemeinsam haben, etwas, was sie von den Wählern der Demokraten oder Republikanern unterscheidet, denn sonst wären sie ja eben solche.
Schauen wir uns deshalb die Präferenzen der RFK-Wählerschaft anhand der in den USA die Wahl dominierenden Themenbereiche näher an. RFK-Anhänger sind bei der Frage der Zuwanderung deutlich näher an den Republikanern, mithin Trump, beim Klimaschutz ist dies genau umgekehrt, man neigt hier eher den Demokraten und somit Harris zu. Letzteres trifft auch bei der Regelung der Abtreibung zu, einem in den USA eminent politischem Thema. Bei ökonomischen Fragen, zu der auch die Inflation gehört, finden sich Unterschiede zu den großen Parteien hingegen nur in Details.
All dies legt nahe, dass eine Wahlempfehlung durch Kennedy zugunsten Trumps nicht in voller Gänze der Weltanschauung und dem Wertesystem seines Klientels entspricht. Auch wenn ein persönliches „endorsement“ in den USA schwer wiegt, dürften sich die Wählerstimmen nicht überwiegend mehrheitlich zu Trump bewegen.
Nun könnte man sich in komplexen Analysen ergehen, welcher Kandidat welchen Anteil vom RFK-Kuchen wohl bekäme, wenn er sich denn in den Wahlkampfaussagen nur entsprechend geschickt verhalte. Dies werden in den USA auch nicht wenige Parteistrategien versuchen. Diese Aufgabe ist jedoch auf Grund der dargestellten fehlenden ideologischen Klammer um das RFK-Lagers ebenso ein Sisyphusunterfangen wie sie überflüssig ist.
Zwar mögen vielleicht die beiden Aufteilungsströme etwas beeinflusst werden können, dies spielt jedoch in den allermeisten Staaten keine Rolle. Wenn es etwa den Demokraten in Kalifornien gelänge, 100% der RFK-Anhänger als Harris-Wähler zu gewinnen, würde dies natürlich die Anzahl der Wählerstimmen („Popular Vote“) erhöhen, aufgrund des Wahlmännersystems hätte dies genau null Auswirkung auf das Stimmergebnis im Electoral College.
Vielmehr muss man sich die Lage in den Bundesstaaten ansehen, die noch nicht eindeutig einem Kandidaten bzw. einer Partei zuneigen, den sogenannten Swing States. Die aktuellen Umfragewerte divergieren natürlich je nach Institut und Zeitpunkt, die Swing States bleiben jedoch im Wesentlichen immer die selben. Der aktuelle Stand stellt sich dabei grosso modo wie folgt dar:
Präsident wird, wer mindestens 270 Wahlmänner gewinnt. Nun mag sich mancher erstaunt zeigen, dass Harris aktuell über 281 verfügt, war doch Trump die letzten Wochen im Vorteil, was letztlich zur Absetzung Bidens geführt hatte. Jedoch ist diese Zahl 281 und der Vorsprung von 24 auf Trump trügerisch. Entscheidend ist die Bildmitte, die die Staaten mit besonders engem Rennen zeigt. Mit Arizona, Pennsylvania, Michigan und Wisconsin sind hier vier Staaten mit in Summe 55 Wahlmännern – was sehr viel ist – dem Harris-Lager zugerechnet.
Der Vorsprung in all diesen Staaten liegt jedoch unter zwei Prozentpunkten. Würde also Trump nur zwei Prozentpunkte und auch nur in diesen vier Staaten aus dem RFK-Lager abziehen, würden die 55 Stimmen zu ihm wandern und ein (Zwischen-) Ergebnis von 226 zu 312 zugunsten Trumps ergeben. Es entstünde ein vollständig anderes Bild.
Schauen wir nun die aktuellen Stimmanteile von RFK in den genannten Swing States an: Arizona 5%, Pennsylvania 4%, Michigan 4% und Wisconsin 3%. Cum grano salis bedeutet dies, dass Trump etwa die Hälfte der RFK-Anhänger gewinnen müsste, um sehr deutlich in Führung zu gehen. Dieser Effekt ist aufgrund des persönlichen Endorsements seitens RFK sowie der dargestellten Neigung der RFK-Anhänger in zentralen Fragen, insbesondere der Einwanderung, keinesfalls abwegig.
Natürlich wäre dann das Rennen noch nicht entschieden. Ein für Trump erwartbar negatives Ereignis wird die Verkündung seines Strafmaßes am 18. September in dem NY-Prozess sein, in dem ihm die Jury bereits schuldig gesprochen hat. Zwar wird er in Berufung gehen und das Urteil somit nicht rechtskräftig, dennoch wird dies ein riesiges mediales Echo erzeugen und Trump zumindest zwischenzeitlich zurückwerfen. Sofern es Trump gelingt – wie dies bei seinen juristischen Auseinandersetzungen bisher immer der Fall war – sich als Verfolgter einer politisierten Justiz darzustellen, und dies ist in dem NY-Prozess nach Ansicht unabhängiger Rechtsexperten in nicht unerheblichem Ausmaß auch gegeben, wird dieser Negativeffekt allerdings weder signifikant noch dauerhaft sein und durch den Schub des Zustroms der RFK-Anhänger sogar deutlich überkompensiert.
Man darf gespannt sein auf die Deutlichkeit der Worte, mit denen RFK Trump zur Wahl empfiehlt und auf die Ergebnisse der ersten Umfragen nächste Woche. Alles andere als ein im Electoral College deutlich vorne liegender Trump und somit eine Kehrtwendung des durch die Harris-Nominierung ausgelösten Miniimpulses für die Demokraten wäre eine große Überraschung. Wer am US-Wahlkampf und dessen Darstellung und Beeinflussung in den Medien Spaß hat, für den stehen spannende Tage bevor.
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