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Bild: Leonhard Niederwimmer via pixabay.

„Keine Regierung mit Herbert Kickl!“

Ein Gastkommentar von Christof Schwenniger.

„Keine Regierung mit Herbert Kickl!“ So lautet der einhellige Befund von Bundespräsident Van der Bellen, von noch-Bundeskanzler Nehammer und den Parteiobleuten Babler, Meinl-Reisinger und Kogler.
Zugleich ist das auch eine implizite Absage an die ganze FPÖ, denn erstens ist Nehammers Beteuerung „nur ohne Kickl“ unglaubwürdig, zweitens ist es schon über alle Maßen dreist, wenn krachende Wahlverlierer auf ihren Sesseln klebend den Rücktritt eines triumphalen Wahlsiegers fordern.

Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik negiert ein Bundespräsident die gute, richtige und demokratietheoretisch unerlässliche Usance, dem Spitzenkandidaten der stärksten Partei (und der zudem fulminanten Wahlsiegerin) den Regierungsauftrag zu erteilen. Und stellt damit seine persönliche parteipolitische Ideologie (die er offensichtlich trotz seines Amtseides nicht abgelegt hat!?) über die bewährten Regeln und vor allem über das glasklare Wählervotum.

Das vorgebrachte Argument, er würde damit nur eine Abkürzung nehmen, da soundso niemand mit Kickl wollen würde, ist eine hinterhältige Irreführung.
Wenn ein Kandidat mit dem eindeutigen Auftrag des Bundespräsidenten ausgestattet ist, wird es nämlich schwierig für die anderen, jegliche Gespräche zu verweigern. Und sich ihrer Verpflichtung zu entziehen.
Bei dem unerhörten Manöver des Bundespräsidenten handelt es sich also nicht um eine „Abkürzung“, sondern um einen dreisten, das Wählervotum verhöhnenden Winkelzug.

Hinterzimmerpolitik.

Es wird breit kolportiert, dass offenbar schon Monate vor der Wahl geheime Sondierungen, angeblich unter Regie der Bundespräsidentschaftskanzlei, geführt wurden, wie man im Falle eines FPÖ-Wahlsieges die Wahlsiegerin FPÖ „ausbooten“ könne; und als dieser Fall dann noch deutlicher als prognostiziert eingetreten war, schritt man entsprechend zur Tat. Ohne an die Folgen aus dieser absolut irrwitzigen Handlungsweise zu denken.

Der Bundespräsident meint, nur eine Dreier-Koalition aus den programmatisch fundamental inkompatiblen Wahlverlierern ÖVP und SPÖ, nebst einer Kleinpartei verspräche Stabilität. Eine Zweier-Koalition unter Führung der Wahlsiegerin FPÖ mit der ÖVP, die programmatisch nahezu deckungsgleich wäre und über eine stabile Mehrheit im Nationalrat verfügen würde, indiziert Van der Bellen als instabil.

Was sind aber nun die „Argumente“, die es staatspolitisch so undenkbar erscheinen lassen, mit einer FPÖ unter Herbert Kickl, dem Wählervotum entsprechend, zu regieren?

Die Volkspartei ihrerseits hat dazu auf X (vormals Twitter) eine Miniserie aus vier Argumenten unter dem Titel „Kickl kann‘s nicht“ veröffentlicht.

1 von 4: der „rechte Narrensaum“:

Quelle: X-Account (Twitter-Account) der ÖVP.

Sie können das Video hier auf X (Twitter) abspielen.

Hier wird Herbert Kickl eine „gefährliche Nähe zum Rechtsextremismus“ vorgeworfen, und zwar am Beispiel einer Gruppierung, die sich „Identitäre“ nennt und die sozusagen wie eine „rechte Antifa“ dargestellt wird.
Ob und wie weit da was dran ist, kann ich nicht beurteilen. Aber erstens ist das scheinheilig doppelmoralisierend, denn bei SPÖ-Babler, der wirklich eine „gefährliche Nähe“ zu gewaltbereiten linken Organisationen hat(te), sieht man kein Problem, mit ihm Regierungsverhandlungen zu führen.
Zweitens wäre so eine „gefährliche Nähe“ allenfalls in Verhandlungen konkret anzusprechen und, notfalls, eine schriftliche Distanzierungserklärung zu verlangen, wenn man so will.
Natürlich will man mit so einem konstruierten Sachverhalt, also einer angeblichen Nähe zu obskuren Vereinigungen, die jedoch mit der FPÖ organisatorisch, personell und vermutlich auch inhaltlich in keinem bekannten Zusammenhang stehen, mittels suggestiver Wirkung genau den kolportierten Rechtsextremismus der FPÖ begründen oder zumindest nahelegen. Dies ist jedoch ein plumper Trick, der Bedeutung der eigentlichen Thematik nicht angemessen. Notwendig wäre vielmehr, rechtsextreme Positionen, die verfassungsrechtlich bedenklich sind oder der demokratischen Grundordnung widersprechen, genau aufzulisten. Erstens, zweitens, drittens. Das wird aber nicht möglich sein. Denn rechtsextrem ist kein juristischer Begriff. Es ist eine ins Belieben gestellte politische Brandmarke, die man auf mißliebige Parteien stempelt. Aber zu sagen „womöglich streifen an den komische Typen an, und deswegen reden wir nicht“, das ist feige, dumm und auch unglaubwürdig angesichts der praktizierten Alternativen.

2 von 4: die „Fahndungsliste“:

Quelle: X-Account (Twitter-Account) der ÖVP.

Sie können das Video hier auf X (Twitter) abspielen.

Hier wird ein klar erkennbar sarkastisch-pointierter Sager eines Oppositionspolitikers in einen schlechtestmöglichen Kontext gestellt.
Einmal davon abgesehen, dass die Volkspartei in Sachen „pointierte Sager“ auch gut daran täte, vor der eigenen Türe zu kehren, da es gerade im Zuge der Corona-Krise Wortmeldungen – auch von Karl Nehammer – gab, die in isolierter Betrachtungsweise deutlich bedenklicher sind als der Fahndungslistensager:
Ein Bundeskanzler hat keinerlei exekutive Macht, irgendwas mit irgendwelchen Fahndungslisten zu tun.
Genausogut könnte Andreas Babler eine Liste erstellen, welche Nobelpreise er alle gewinnen will. Mag lustig sein, aber es ist irrelevanter Unsinn, ein durchsichtiger billiger Trick, eine nicht vorhandene Analogie zu den Gestapo-Greifern der Nazis oder ähnlichen Handlangern diktatorischer Regime herzustellen. Eine solche Unterstellung ist inhaltlich absurd, moralisch unterirdisch, historisch gefährlich verharmlosend und wäre im außerpolitischen Raum vermutlich sogar justiziabel.

3 von 4: die „Verschwörungstheorien“:

Quelle: X-Account (Twitter-Account) der ÖVP.

Sie können das Video hier auf X (Twitter) abspielen.

Anhand einer aus dem Zusammenhang gerissenen Wortmeldung einer nicht näher genannten Person „aus der Gefolgschaft“ von Herbert Kickl wird unterstellt, dieser würde „Verschwörungstheorien und gefährliche Unwahrheiten“ verbreiten.
Erstens wurde offenbar im propagandistischen Eifer vergessen, dass die WHO im Zuge der Corona-Krise tatsächlich weitreichende Befugnisse einforderte. Zweitens sei daran erinnert, dass die WHO keine demokratische Instanz der Republik Österreich ist und Kritik an dieser von vielen Bürgern als „Moloch“ empfundenen Institution schon noch gestattet sein muss. Viele linke Regierungen scheinen geradezu versessen darauf zu sein, Entscheidungskompetenzen für zentrale Fragen des Gemeinwesens auf intransparente supranationale Organisationen zu übertragen. Das Zustandekommen etwaiger Entscheidungen entzieht sich dann der öffentlichen Kontrolle, gerade auch der nationalen Regierungen und Parlamente. Ein solches Procedere ist dem Wesen nach zutiefst undemokratisch. Es mag im Einzelfall Gründe geben, dennoch so vorzugehen. Das muss sorgfältig geprüft werden. Kritik hierzu ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Meinungsbildungsprozesses. Eine kritische Auseinandersetzung ist auch für die Akzeptanz solcher Kompetenzverlagerungen in der Bevölkerung unverzichtbar. Eliten, insbesondere linke Eliten, mögen fröhlich frohlocken, Nationalstaaten zu entkernen und die Steuerung unseres Gemeinwesens irgendwo zu zentralisieren. In der EU, der WHO, vielleicht der Nato. Das kann und muss man kritisieren dürfen. Kritik ist in einer Demokratie unverzichtbar, eine Verschwörung ist sie sicher nicht.

Und zum Thema gefährliche Unwahrheiten soll erwähnt sein, dass die gefährlichste Unwahrheit die Geschichte vom Infektionsschutz und der gesundheitlichen Unbedenklichkeit der Covid-Impfung war, wie die zögerlich freigegebenen RKI-Files nahelegen.
Ivermectin ist ein zugelassenes Medikament; ob und wie wirksam es gegen Covid ist, kann ich nicht sagen. Aber ich kann sagen, dass, wenn Kickl sich irrte, und das ein Ausschlussgrund ist: was ist dann der „Irrtum“ der ÖVP beim Budget, den man bedauerlicherweise erst einige Tage nach der NR-Wahl entdeckte?

4 von 4: die „Inzuchtpartie“:

Quelle: X-Account (Twitter-Account) der ÖVP.

Sie können das Video hier auf X (Twitter) abspielen.

Keine Frage: „Inzuchtpartie“ ist ein Sager, den man sich sparen kann. Auch wenn hier nach meinem Verständnis der Kulturbetrieb der woken Ideen gemeint ist und nicht irgendwelche Menschen. Dann muss man aber dazusagen dass, wenn dieser Sager ein immerwährender Ausschlussgrund ist, dann darf man auch nicht mit jemandem verhandeln, der zB Kruzifixe verbrennen will (um nur ein Sujet aus der Fülle des Irrsinns aus der SPÖ-Ecke zu benennen)!
Und dass Kickl zu Anfang der Pandemie, bevor wir noch irgendeine rudimentäre Kenntnis über die Gefährlichkeit des Covid-Virus hatten, einen Lockdown forderte, mag rückblickend ein Irrtum sein, aber damals wusste man es eben nicht besser.
Er machte Oppositionspolitik, und das kann man ihm nicht anlasten.

Soweit die vier Beispiele für die Argumentation, warum Karl Nehammer nicht mit Kickl verhandeln will, was ein Zeichen von Schwäche und Justament-Sturheit ist, und, wie oben ausgeführt, scheinheilig doppelmoralisierendes Pharisäertum. Denn Verhandlungen sind ergebnisoffen und verpflichten zu nichts, außer zum konkreten Zuhören und fairen Diskutieren.

Alle vier Beispiele sind zudem auch deshalb schwache Argumente, weil sie Themen behandeln, welche der großen Mehrheit der Wähler unbedeutend erscheinen, im Vergleich zu den die Wahlentscheidung dominierenden Themen Migration/Sicherheit, Wirtschaft/Wohlstand, Bürgerrechte/Covid-Aufarbeitung.

Ergänzend zu diesen inhaltlichen Betrachtungen nun noch einige Ausführungen zu funktionalen Besonderheiten des politischen Systems in Österreich, die eine konstruktive Einbindung der FPÖ in eine Regierungskoalition selbst auch unter Ausübung der Kanzlerschaft durchaus ermöglichen würden.

Keine Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers.

Wenn Nehammer dann (als größter Wahlverlierer in der Geschichte der ÖVP und als Chef einer katastrophal abgewählten Regierung!) postuliert, „Kickl ist gescheitert“ und zugleich nach dreieinhalb Jahren seiner desaströsen Kanzlerschaft verkündigt, dass es „mit uns kein weiter wie bisher“geben wird, dann kann man das nur noch unter „Chuzpe“ einordnen.

Gerade das Beispiel der Kanzlerschaft Nehammer zeigt eindrucksvoll, wie machtlos das Amt des Bundeskanzlers in Österreich ist.
Wenn der deutsche Amtskollege per Verfassung eine sogenannte „Richtlinienkompetenz“ hat, so besagt das, dass dieser seinen Regierungsmitgliedern (Ministerien) gewisse programmatische Leitplanken legen kann, innerhalb derer sie zu agieren haben. In Österreich ist das nicht der Fall. Hier sind die Minister in ihrem Portefeuille (Wirkungsbereich) vollkommen souverän und können vom Bundeskanzler nicht überstimmt werden, zum Beispiel per Veto oder so.

Ich darf dazu zwei Beispiele nennen.

Erstes: Bundeskanzler Kurz musste tatenlos zusehen, wie Herbert Kickl in seinem Fachbereich Innenministerium seine Aktionen gegenüber dem Inlandsgeheimdienst BVT setzte. Die einzige Interventionsmöglichkeit des Bundeskanzlers war, später den Innenminister beim Bundespräsidenten zur Entlassung vorzuschlagen, was dann zum Ende der Koalition führte.

Zweites: Bundeskanzler Nehammer musste tatenlos zusehen, wie Zadic in ihrem Ministerium fuhrwerkte und vor allem konnte er nicht einmal den bereits von Ministerin Gewessler vorher angekündigten (!) Tabubruch, dem Renaturierungsquatsch entgegen des gültigen Regierungsbeschlusses und entgegen der fehlenden Zustimmung der Bundesländer „ihrem Gewissen folgend“ zuzustimmen, stoppen.
Er hätte lediglich seiner Partei gestatten können, dem auf den unfassbaren Alleingang Gewesslers folgenden Misstrauensantrag zuzustimmen oder sich zumindest zu enthalten. Aber selbst dazu war er zu mutlos, indem er vorschob (zwei Arbeitsmonate vor den ohnehin anstehenden Neuwahlen!) „die Stabilität wahren zu müssen“.

Warum also Kanzler?

Diese Frage stellt sich unweigerlich. Denn der Bundeskanzler in Österreich ist ein Amt, das hohes Prestige genießt (aus der Zeit der Kreisky-Alleinregierungen), aber de facto im Wesentlichen nur ein Verwaltungs-, Koordinations- und Repräsentationsamt ist.
Wenn Herbert Kickl wirklich so gefährlich ist, wie uns anhand sehr fadenscheiniger Beispiele (wie oben angeführt) suggeriert wird: dann sollte man ihn auf das Amt des Bundeskanzlers „wegloben“, weil er da keinen Schaden anrichten könnte wie zB Gewessler und Zadic in ihren Ministerien das sehr wohl unbehelligt tun konnten.

Fazit:

Die „großkoalitionären“ Parteien ÖVP und SPÖ wurden in der Wahl in einer nie dagewesenen Deutlichkeit abgestraft. Wenn die beiden nach dieser Wahl eine Regierung bilden, dann ist das eine skandalöse Verhöhnung des Wählerwillens, die unabsehbare Folgen haben könnte.

Demokratischer Lösungsansatz: Minderheitsregierung FPÖ unter Tolerierung der ÖVP.

Mein ehrlicher, gutgemeinter und, wie ich glaube, kluger Rat an die ÖVP, die ja meine Partei ist:
Gehen wir doch in Opposition und honorieren wir den Wahlentscheid, indem wir eine Minderheitsregierung der FPÖ tolerieren.

Dazu sollten mit der FPÖ klare Richtlinien paktiert werden, innerhalb derer die ÖVP diese Minderheitsregierung stützt – womit man die von den Linksmedien so katastrophenlüstern herbeifantasierten no-gos ausschließen kann.
Das sollte nicht so schwierig sein, denn wenn, wie beide Parteien wechselseitig sagen, die ÖVP ihr Programm betreffend Migration/Sicherheit von der FPÖ, und die FPÖ ihr Programm betreffend Wirtschaft/Wohlstand von der ÖVP abgeschrieben haben sollte, dann sind beide Parteien ja eh weitgehend d’accord. Zumindest in den Themen, die am dringendsten zur Lösung anstehen und die der großen Mehrheit der Wähler die wichtigsten Anliegen sind.
Die FPÖ könnte dann endlich zeigen, wie gut sie ist – oder eben auch wie schlecht – und wie unberechtigt die Ausgrenzeritis ist – oder ob dies doch begründet ist.
Sie wird keine Wunder vollbringen und vermutlich auch nur mit Wasser kochen, aber sie würde eine klare bürgerliche Politik ohne Kompromissverwässerungen fahren können, und wenn das gelingt, ist es gut für Österreich ¬¬- und auch gut für die ÖVP. Wenn es nicht gelingt, kann man nach einer angemessenen Zeit die Duldung beenden und in Neuwahlen gehen.

Unser Gastautor Christof Schwenniger freut sich über Diskussionen hier und auf Twitter.

Weitere Gastkommentare von Christof Schwenniger:

„ORF – wie wir.“?


Weitere Artikel und Kommentare zur Politik in Österreich (Auswahl):

„The winner takes it all.“
B-VG Artikel 7. (1) Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Warum werden die Proponenten der FPÖ dann anders behandelt?

Kanzler: Herbert Kickl.
Oder: wie mächtig ist Van der Bellen wirklich?


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Dieser Beitrag hat 13 Kommentare

  1. Edwin Wedl

    Bravo! Allein mir fehlt der Glaube und so betrachte ich dieses Spiel aus der Ferne mit schweren Bedenken an die Stabilität in der Heimat. Aber Heimat ist für die mitmischenden pinken und grünen Politiker und Politikerinnen ohnehin bedeutungslos.

    1. C. Schwenniger

      Lieber Edwin, danke für das Lob.
      Und mit Deinem Schlusssatz sprichst Du eine empörende Wahrheit aus!

      1. Bruce Lakeriver

        ja, leider. Ich finde es eine große Problematik, dass man den Amtseid nicht wortwörtlich einfordert, wie man es in anderen Stellen des Rechts mit Normen und Procedere macht.

        Es würden viele ganz schnell massive Probleme bekommen, abgesehen von den abstoßenden Umstand, das Land von den eigenen „mutmaßlich“ gewählten Entscheidungsträgern zu schützen.

        Bese Grüße,

        Bruce C. L.

        1. Christof Schwenniger

          Guter Punkt, lieber Bruce.
          Danke für die Ergänzung!

  2. Bruce Carbon Lakeriver

    Wunderbar auf den Punkt gebracht, sehr schön!

  3. Rene

    Habe ich richtig verstanden: Sie fordern als „demokratischer Lösungsansatz“ dass ausgerechnet die Partei, die in der Geschichte der 2. Republik mit den wenigsten Stimmen den ersten Platz erreicht hat, die allererste, mit nicht einmal 1/3 der Wähler ausgestattete Minderheitsregierung bilden soll? Können Sie sich vorstellen dass hier ein ordentliches Budget rauskommt? Irgendeine Pensionsreform? Die größte Herausforderung der nächsten Jahre, die riesengroße Pensionenierungswelle der Babyboomer bewältigt wird? Von einer Partei mit einer tradionell äußerst schwachen Persobaldecke wie der FPÖ.?

    1. C. Schwenniger

      Lieber Rene,

      danke für Ihren interessanten Einwand.
      Zunächst: „fordern“ ist ein zu großes Wort. „Vorschlagen“ trifft es besser.

      Ich weiß nicht, ob was „ordentliches“ bei einer Minderheitsregierung herauskommt. Bei der Schwaropimpel weiß ich, dass sie in den Abgrund führt.

      Das Prinzip einer Duldung ist aber gerade, dass man eine „klare Linie“ – also echte Reformen! – ermöglicht, ohne diese durch faule Kompromisse zu verwässern oder ganz abzuwürgen.
      In meinem Modell käme zudem die Duldung von einer Partei mit deckungsgleicher Programmatik in wesentlichen Fragen, wie im Aufsatz erläutert.
      In vielen Ländern sind solche Modelle Usus und bringen gute Ergebnisse. In Österreich ist es die typische Mutlosigkeit, die uns zum Zaudern und Stillstand verdammt.

      Eine Duldung hätte den Vorteil, dass man eine Notbremse eingebaut hat und die Regierung binnen eines Tages beenden könnte, sollte sie aus dem Ruder laufen oder Schaden anrichten.

      Bitte lesen Sie mein Modell nochmal in Ruhe durch und bedenken Sie alle Aspekte. Sie werden sehen, Ihre Sorge ist unbegründet.

      Schönen Gruß,
      C.S.

  4. Balder Gullveig

    Hervorragender Kommentar mit einer ebenso überraschenden wie überzeugenden Schlussfolgerung. Leider kommt in unserem Sprachraum Minderheitsregierungen nicht die Beachtung zu, die sie verdient hätten. Man kettet sich hier lieber an programmatisch inkompatible Koalitionspartner und feilt dann an Kompromissen, die dann zwar eine Regierungsmehrheit bekommen, aber keine Lösungen bieten. In anderen Ländern zeigt sich, dass die Suche nach Zustimmung bei durchaus auch wechselnden Parlamentsfraktionen durchaus tragfähige Ergebnisse liefert. Ihr Plädoyer für so einen Ansatz ist sehr überzeugend, der Kommentar insgesamt hervorragend. Vielen Dank für diesen Beitrag.

    1. C. Schwenniger

      Von einem derart brillanten Wissenschaftler so freundlich gelobt zu werden, ist ein Ritterschlag von besonderer Güte!
      Danke, lieber Professor! ☺️🙏

    2. Slobodan Covjek

      Was für ein sowohl sprachlich als auch inhaltlich beeindruckender Kommentar!

      Die weltanschauliche Schnittmenge zwischen den Spitzenfunktionären der ÖVP und der Kickl-FPÖ halte ich indes für nicht so groß wie hier angenommen.

      Teilen die Spitzenfunktionäre der ÖVP die Überzeugung, dass es nur zwei Geschlechter gibt und dass das Geschlecht nicht frei gewählt werden kann?

      Ist den Spitzenfunktionären der ÖVP klar, dass der Green Deal der EU die totale Vernichtung der Industrie und damit des Wohlstands bedeutet?

      Ich denke, dass die Führungsriege der ÖVP den gesellschaftspolitischen Extrempositionen von SPÖ, NEOS und Grünen viel näher steht als den traditionellen Werten der FPÖ und dass die ÖVP-Kader den destruktiven Charakter des Green Deal noch nicht einmal ansatzweise erkannt haben.
      Die von der FPÖ als Einheitspartei titulierte Parteienformation wird gemeinsam mit dem Bundespräsidenten noch sehr viel Schaden anrichten in diesem Land. Hoffentlich ist es für das Klugwerden danach dann nicht schon zu spät.

      1. Christof Schwenniger

        Danke für das Lob!
        Was die ÖVP anbelangt, so ist sie eine sehr vielfältige Gemeinschaft – wie alle Volksparteien versucht sie, möglichst viele Strömungen zu beherbergen.
        Man kann nicht verallgemeinern, aber ich vermute, dass Karl Nehammer in der Parteibasis längst keine Mehrheit mehr hat.

    3. Reini

      Wüsste die ÖVP oder der Präsident heute so wie wahrscheinlich 2017 von einem „Video gegen den Obmann der Freiheitlichen“, stünde die Koalition zwischen Freiheitlichen und schwarzen schon um sie natürlich zur gegebenen Zeit wieder wie 2019 zu sprengen. 2017 ging alles rasch und butterweich, da hatte kein Nehammer, kein Kurz, kein VdB, keine grünen, keine SPÖ, keine Grünen, keine Neos auch nur irgendwelche Bedenken gegen die Regierungsbeteiligung der Blauen, möglicherweise weil man glaubte sie mit dem Strache-Video endgültig zu ruinieren. Der Ibiza-Untersuchungsausschuss brachte jedoch nicht die FPÖ, sondern die Schwarzen mit -11% zu Fall. Der nächste Ausschuss wird sich mit den Corona Umtrieben befassen, Hoffe er wird vom Parlamentss-TV öffentlich übertragen.

      1. Christof Schwenniger

        Interessante These. Kann dazu nichts sagen, weil ich dazu überhaupt kein Hintergrundwissen habe.

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