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Kanzler: Herbert Kickl.

Oder: Wie mächtig ist Van der Bellen wirklich?
Ein Kommentar von Birgit Medlitsch.

Seit Monaten liegt sie auf Platz 1: die FPÖ mit ihrem Bundesparteiobmann Herbert Kickl.
Rund 30% der Wählerstimmen hätte sie, glaubt man den aktuellen Umfrageergebnissen, zu erwarten, würden am kommenden Sonntag Nationalratswahlen stattfinden.

Zu früh gefreut?

Nun – als stimmenstärkste Partei wäre ihr der Kanzler sicher, möchte man meinen. Das war ja in der Vergangenheit immer so. Wenn da nicht die Äußerungen von Van der Bellen im Zuge seiner letzten Kandidatur und auch kurz vor seiner Angelobung wären.

Van der Bellen im Interview.

Am 26. Jänner 2023 kann man auf orf.at über eine Aussage von Van der Bellen im Zuge eines Interviews lesen:

Der FPÖ-Chef könne sich demnach bei einem allfälligen Wahlsieg – die FPÖ liegt derzeit in allen Umfragen auf Platz eins – nicht sicher sein, automatisch den Auftrag zur Regierungsbildung zu bekommen.“

Muss er ja nicht.

Es ist nämlich nirgends gesetzlich festgelegt, dass der Bundespräsident den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Im Bundes-Verfassungsgesetz findet sich nichts darüber. Gar nichts. Es ist lediglich „gelebte Praxis“. Es ist auch nirgends festgelegt, dass der Bundespräsident Sondierungsgespräche, Koalitionsverhandlungen oder den Vorschlag für die Bildung einer Regierung XY verhindern kann.

Ausschnapsen.

Üblicherweise betraut der Bundespräsident den Vorsitzenden der mandatsstärksten Partei mit der Aufgabe, eine Bundesregierung zu bilden.
Das ist üblich, aber nicht Gesetz.

So wie ich das verstehe, könnte er auch jede andere Person, also wirklich jede Person, die zum Nationalrat wählbar ist, mit dieser Aufgabe betrauen, zum Beispiel Rudi Fußi oder Florian Klenk. Oder mich. Das wäre überhaupt eine gute Idee, finde ich. Er könnte auch gar niemanden damit betrauen. Jene, die zum Nationalrat gewählt wurden, könnten sich das auch untereinander „ausschnapsen“.

Weigerung.

Was er kann, ist, sich zu weigern, die neue Regierung oder einzelne Regierungsmitglieder zu ernennen und anzugeloben. Nur, wenn sich eine Regierung gefunden hat, die eine Mehrheit im Nationalrat hat (die Mehrheit ist nicht erforderlich, aber sinnvoll), und die meint, es passt – man hätte sich geeinigt, dann wird das für ihn sehr schwierig.
Denn: Ob eine diesbezügliche Weigerung verantwortungsvoll ist, ist mehr als fraglich, und es würde einer Lähmung der Gesetzgebung sowie einer Schwächung des Gesetzgebers gleichkommen, so wie auch der Wille des Volkes durch diese Weigerung ignoriert wird. Das kann sich selbst der beste Bundespräsident nicht leisten. Denn das würde einem Land, also dem Staat Österreich, einen massiven Schaden zufügen. Diplomatisch wäre dies untragbar.

Wer kann Regierungsmitglied werden?

Wir haben es im Zuge der Übergangsregierung gesehen: Regierungsmitglieder, also Kanzler, Vizekanzler und Minister, müssen nicht dem Nationalrat angehören, sie müssen nicht für die Wahl zum Nationalrat kandidiert haben. Dazu liest man im Bundes-Verfassungsgesetz unter Artikel 70 (2):

„Die Mitglieder der Bundesregierung müssen nicht dem Nationalrat angehören, aber zum Nationalrat wählbar sein.“

Und diese sind definiert im Bundes-Verfassungsgesetz unter Artikel 26 (4):

„Wählbar sind die zum Nationalrat Wahlberechtigten, die am Stichtag die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben.“

Die Macht.

Auch hier könnte der Bundespräsident sagen – ja, das ist ja gut und schön, dass ihr mir diesen oder jenen als Kanzler, Vizekanzler oder Minister vorschlägt, aber – vereinfacht gesagt „die will ich nicht, ich habe andere Kandidaten dafür“. Ja, könnte er. Das wird aber schwierig. Denn in einer Demokratie ist noch immer der Wille des Volkes Programm, der Wählerwille. Und die Wähler möchten auch, dass das, was im Wahlkampf versprochen wurde, später von der Regierung umgesetzt wird.

Dazu kommt, auch der Bundespräsident kann abgesetzt werden. Das Bundes-Verfassungsgesetz normiert hierzu in Artikel 60 (6) wie folgt:

„Vor Ablauf der Funktionsperiode kann der Bundespräsident durch Volksabstimmung abgesetzt werden. Die Volksabstimmung ist durchzuführen, wenn die Bundesversammlung es verlangt. Die Bundesversammlung ist zu diesem Zweck vom Bundeskanzler einzuberufen, wenn der Nationalrat einen solchen Antrag beschlossen hat. Zum Beschluss des Nationalrates ist die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich. Durch einen derartigen Beschluss des Nationalrates ist der Bundespräsident an der ferneren Ausübung seines Amtes verhindert.“

Eine mögliche, nicht erwünschte Chronologie.

Würde es wirklich „hart auf hart“ kommen, wäre dies ein mögliches Szenario:

1. Nationalratswahl, 4-wöchige Frist zur Wahlanfechtung
2. Bundespräsident beruft Nationalrat zur 1. Sitzung, also zur konstituierenden Sitzung, ein. Die Abgeordneten werden angelobt, die drei Präsidenten des Nationalrats werden in einer geheimen Abstimmung gewählt. (Spätestens 30 Tage nach der Wahl.)

3. Bundespräsident beauftragt XY mit der Regierungsbildung.
4. Es wird ein Vorschlag präsentiert, der dem Bundespräsidenten nicht gefällt. Er weigert sich diese vorgeschlagenen Personen zu ernennen und anzugeloben.

5. Der Nationalrat beschließt einen Antrag zur Absetzung des Bundespräsidenten. Dafür ist eine Anwesenheit von 50% und davon 2/3 der Stimmen für diesen Antrag notwendig. Der Bundespräsident ist ab diesem Zeitpunkt an der Ausübung seines Amtes verhindert (laut B-VG Art 60 (6)).
6. Die Bundesversammlung ist vom Bundeskanzler (dem bisherigen der „alten“ Regierung) einzuberufen.
7. Die Bundesversammlung (Nationalrat und Bundesrat) verlangt eine Volksabstimmung zur Absetzung des Bundespräsidenten.
8. Die Volksabstimmung wird durchgeführt.

9. Während der Bundespräsident sein Amt nicht ausüben darf, wird er vertreten. Dies regelt Artikel 64 (1) B-VG:
„[…] Dauert die Verhinderung jedoch länger als 20 Tage, oder ist der Bundespräsident gemäß Art. 60 Abs. 6 an der ferneren Ausübung seines Amtes verhindert, so üben der Präsident, der zweite Präsident und der dritte Präsident des Nationalrates als Kollegium die Funktionen des Bundespräsidenten aus. […]“ Dieses Kollegium entscheidet mit Stimmenmehrheit.

10. Die Frage ist nun, ob dieses Kollegium in dieser Vertretungsfunktion auch eine neue Regierung angeloben kann. Ich habe im Bundes-Verfassungsgesetz keine gegenteilige Bestimmung gefunden.

Soweit wird es nicht kommen.

Dieses Szenario kommt einem „Staatsnotstand“ sehr nahe.

Eine Absetzung des Bundespräsidenten durch eine Volksabstimmung, die vom Nationalrat beschlossen und von der Bundesversammlung verlangt wird, wäre eine Schmach für einen Bundespräsidenten. Auch wenn es sich um ein durch das Bundes-Verfassungsgesetz legitimiertes demokratisches Instrument handelt, wird man sich das sehr gut überlegen.

Auf der anderen Seite muss sich auch der Bundespräsident überlegen, ob es demokratiepolitsch vertretbar ist, eine Partei, die von rund 30 Prozent der Wähler in der Regierungsverantwortung gesehen werden möchte, von dieser Verantwortung auszuschließen.

Womit aktuell „gerechnet“ wird.

Ich habe viele Gespräche mit „Insidern“ und Kennern der Österreichischen Bundespolitik geführt. Angesichts der aktuellen Umfragen liegt die FPÖ ja mit rund 30% an erster Stelle. Nun gibt es Kräfte im Land, die eine Regierungsbeteiligung der FPÖ verhindern möchten, an eine Kanzlerschaft von Herbert Kickl wollen einige gar nicht denken. Persönlich finde ich diese Einstellung nicht nur bedenklich sondern auch demokratiefeindlich. Aber gut. Das ist nur meine Meinung.

Geht man von 30% FPÖ, 25% SPÖ und 20% ÖVP aus, dann wäre eine Koalition SPÖ-ÖVP-NEOS durchaus denkbar. Der Wunsch nach einer weiteren Regierungsbeteiligung der Grünen ist nach allem, was geschehen ist, aus der Bevölkerung nicht wirklich stark zu vernehmen. Und es ist sicher kein Zufall, dass gerade jetzt Sepp Schellhorn und Matthias Strolz in die Politik, also zu den NEOS, zurückkehren möchten.


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