Ein Kommentar von Andrea Koch.
Bild: Wahrheit offenlegen, oder alternative Realitäten konstruieren … ©andreakochphotography supported by AI.
Mein Innerstes ist ein Karussell seit jenem 10. Juni 2025. Graz. Elf Tote. Und obwohl mein Herz mit den Angehörigen blutet, kreisen meine Gedanken um die Worte, die seither darübergelegt wurden — wie Nebelschleier auf ein brennendes Feld.
Als ehemalige Mediengestalterin weiß ich um die Wirkung von Sprache — heute wird sie aber nicht mehr verwendet, um zu erklären, sondern um zu verschleiern. Sprache ist ein scharfes Schwert. Doch heute wirkt sie stumpf, inflationär eingesetzt, wie eine Theaterkulisse, die Sicherheit simuliert und vom Wesentlichen ablenkt. Dieser Text ist kein Kommentar aus der Warte moralischer Überlegenheit, sondern der Versuch, die Absurdität zwischen Sprachgebrauch und Realität aufzuzeigen. Denn Worte können trösten. Oder töten.
Semantische Schützengräben oder Verharmlosung per Vokabel: Wenn Sprache lügt.
Sprache formt Realität — und verdreht sie oft. Das Massaker von Graz wurde medial rasch als “Amoklauf” klassifiziert — ein Begriff, der auf das malaiische amuk zurückgeht: ein plötzlicher, wilder Ausbruch. Doch der Täter führte eine vorbereitete Liste der Tat. Das ist kein Wüten im Affekt -das war Planung. Absicht. Ein gezielter Massenmord.
Laut PMC (2023) beschreibt “Amok” eine impulsive, psychotisch geprägte Tat — hier hingegen kollidiert Begriff und Realität frontal.
Und dennoch: „Amok“ hat einen beruhigenden Effekt. Es suggeriert, dass da jemand „plötzlich ausrastet“ — dass es eben niemand verhindern konnte. Die Öffentlichkeit darf durchatmen. Und die Politik muss keine unangenehmen Fragen beantworten.
Ebenso wurde — ganz vorausschauend — das Wort „Terror“ vermieden. Das würde Fragen nach Herkunft, Ideologie, Sicherheitslücken stellen. Also bleibt man bei der Vokabel mit dem geringsten politischen Sprengstoff.
“Narrativ” — einst ein Begriff aus der Literaturwissenschaft — ist längst zur semantischen Waffe, zum ideologischen Wurfgeschoss geworden. Ein einst unschuldig neutrales Wort für “Erzählung”, ist es heute ein politisches Codewort. Medienhäuser wie Der Standard interpretieren und rahmen Graz als Waffendebatte und in Richtung Waffenrecht. Die Kronen Zeitung verortet sie in der Migrationsdebatte. Jede Redaktion folgt ihrer Agenda, bedient sein Publikum — die Opfer verschwinden hinter Schlagzeilen.
Selbst die offizielle Kondolenz des Außenministeriums verriet mehr als sie sagte: Englisch zuerst, dann Deutsch. Eine symbolische Prioritätensetzung für internationale Gönner, weniger für Trauende oder gar die eigene Bevölkerung. Internationale Schaufenstertrauer — nationale Pietät als Nachtrag.
Worte, die trennen, statt verbinden.
Graz als Projektionsfläche: Der semiotischer Zerrspiegel der Schlagworte.
Die Pressekonferenz heute: ein absurdes Kabinettstück. Hieß es doch da, Namen und Daten zum Täter wären “ermittlungstechnisch unerheblich” und unterliegen dem Datenschutz. Somit auch keine Nennung -da bleibt man formell korrekt. Obwohl bekannt gewesen sein müsste, welch massive Hetzjagd auf einen jungen Mann mit zufälliger Namensgleichheit durch kolportierter, dahingehender Spekulation heimischer Medien bereits losgetreten war. Statt Klarheit für Klarstellung, besser die Nichtnennung aus formell, rechtlichen Gründen. Und gleichzeitig verwendete man den Begriff “Amok” — und bleibt in der begrifflichen Grauzone, die weniger Aufklärung als Beschwichtigung bringt.
Was man nicht hören wollte: Dass es sich um einen geplanten Massenmord handelte. Kein “Terror” — zu heikel für innenpolitische Debatten. Keine “Geisteskrankheit” — zu stigmatisierend.
Stattdessen sprachlicher Nebel, der Fragen erstickt, bevor sie gestellt sind.
Und wenn doch gefragt wird, dann meist das Falsche: Wie kam der Täter an eine Waffe? Wie kam er unbemerkt an seinen späteren Tatort? — statt/sondern: Machen Fragen Sinn, wenn Tragödien unvermeidbar sind? Was sagen wir über eine Gesellschaft, in der solche Taten Teil der Realität sind?
Sprache, die eigentlich aufklären sollte, wird hier zum Schutzschild gegen die eigene Ohnmacht.
Waffen, Verantwortung — und psychische Minenfelder.
Ich besitze selbst eine Waffe. Legal. Nicht aus Lust, und ich hoffe, diese nie einsetzen zu müssen. Aber ich muss mich rechtfertigen, warum ich sie habe. Die Diskussion jetzt aber ausschließlich auf private Waffen zu verengen, ist eine gedankliche Fluchtspur. Ich besitze auch ein Küchenmesser. Und ein Auto. Und Backpulver. Da fragt keiner. Noch nicht.
Die Waffendebatte nach Graz wirkt wie ein Ablenkungsmanöver. Von vielen tieferliegenden Krisen.
Was wesentlich ist: Wer wacht über die seelische Gesundheit in dieser Gesellschaft?
Benennen wir semantische Gewalttaten, die tief in die Seelen eingeschnitten haben? Welche Narben haben Pandemie, Isolation, Angstpropaganda geschlagen? Wer begleitet die, die täglich mit innerem Druck, Verlust und Entfremdung ringen? Wer wacht über jene, die entmenschlicht wurden, diffamiert als “Staatsfeinde”?
Langzeitstudien wie The Lancet (2024) zeigen: Die biologischen Spikes verschwinden — vielleicht.
Die psychischen bleiben.
Ein schwarzes Loch im System.
Ein Minenfeld, das wir lieber mit Phrasen zudecken.
Sprache täuscht — und exekutiert.
Politik im Selbstbedienungsladen der Worte — der Narrativ-Tanz im Trauerkleid.
Die Ironie erreicht ihr Crescendo, wenn selbst die höchsten Ämter das Gegenteil ihrer Worte praktizieren. Noch am selben Tag erklärte die Politik einstimmig, den Vorfall nicht politisch zu instrumentalisieren — ein Versprechen, das schneller gebrochen wurde, als man „Kondolenz“ sagen kann. “Wir werden die Tat nicht instrumentalisieren”, hieß es. Und doch begann der politische Tanz auf den Trümmern noch vor dem Abtransport der letzten Leiche.
Bundespräsident Vanderbellen — nie aktiver Teil des ÖBH — rief zur Debatte über Waffenbesitz auf. Bürgermeisterin Kahr forderte gar sofortige Verbote. Politisches Schaulaufen unter dem Deckmantel der Trauer.
In einer Zeit, in der Sicherheitskonzepte wichtiger sind als zwischenmenschlicher Zusammenhang, tröstet man sich mit Technik. Kameras. Schleusen. Sicherheitsgipfel. Alles soll verhindern, dass so etwas „noch einmal passiert“. Aber was, wenn die Ursachen viel tiefer liegen?
Die Pandemie hat viele seelisch gebrochen. Die „Zustimmungspflicht“ zu staatlich verordneten Maßnahmen, der gesellschaftliche Druck, die psychologische Zermürbung — all das bleibt unerwähnt, auch jetzt. Und wenn ein Mensch zerbricht, redet man lieber von „Einzelfällen“. Aber ist das die ganze Wahrheit?
Ein Versteckspiel hinter Worthülsen, das alle politischen Lager eint.
Das Ergebnis: Sprachpolitik ersetzt Lösungskompetenz. Narrative regieren, nicht Maßnahmen.
Kein Trost, keine Analyse. Nur Symbolpolitik in rhetorischer Dauerschleife.
Aufruf zum semantischen Widerstand.
Worte sind keine Deko — sie sind Werkzeuge. Oder Waffen.
Nicht “Amok” — sondern “geplanter Massenmord”.
Nicht “Narrativ” — sondern “politisch gefärbte Perspektive”.
Nicht “Waffendebatte” — sondern “gesellschaftliche Alarmglocke”.
Worte töten leise: Sprachmanipulation nach dem Grazer Massaker.
Wir brauchen keine Nebelgranaten der Empörung. Keine Medien, keine Politiker, die uns mit synthetischem Trost meinen versorgen zu müssen. Wir müssen wieder lernen, Begriffe zu sezieren, statt sie nur zu konsumieren.
Wir brauchen Klarheit, Mitgefühl — und Mut. Mut zur Wahrheit. Mut zur Trauer. Mut zur Selbstkritik.
Sprache muss nicht schön sein. Sie muss ehrlich sein.
Und vielleicht ist das der einzige Respekt, den wir den Opfern wirklich schulden.
Denn sonst drehen wir uns weiter im Kreis — und überlassen das Feld jenen, die Tragödien zur Profilierung nutzen. Bis zur nächsten Katastrophe …
Worte können verbinden. Oder sie können spalten.
Die Wahl liegt bei uns.
Andrea Koch (@drea.koch auf X) ist ehemalige Mediengestalterin, Waffenbesitzer und kritischer Chronist einer sprachlich entgleisten Gegenwart.
Quellen :
PMC (2023): Psychologie und Klassifikation von Amokhandlungen.
The Lancet (2024): Studien zu Spike-Proteinen & psychischen Nachwirkungen von COVID-Maßnahmen.
Wikipedia-Einträge: Van der Bellen, Österreichisches Bundesheer, Staatsvertrag 1955.